Nachfolgendes auf der Grundlage des Buches ›Wege heraus‹ (Tredition, erschienen 6. September 2021).

 

 

 

Wege heraus [4]

 

Ergänzendes.

 

 

 

 

»Himmelweit überlegen nun dem, was ich erfuhr.

Geerdet und im Zentrum meines Seins.

Habe ich noch Gelegenheit, über das ein und andere weiter nachzudenken, bevor es verschwindet, ich verschwinde.

Himmelsoffenheit, Himmelsfreiheit strahlte diese Bedienung, jenseits von Bemühen.

Wer auch vor sie hintrat, was sie auch tat, der Wirkung nach, in immer gleicher Freiheit, in immer gleicher Offenheit.

 

Ist sie nachdenklich?

Nein, sie kann nicht auch noch nachdenklich sein.

Beziehungsweise

so verschiedene Arten und Ausprägungen von Nachdenklichkeit gibt es.  

Mit dem, was geschah, trat ein Status von Gebrochenheit ein.

Psychisch?

Sicher?

Wie soll es vorstellbar sein, ›gebrochen‹?

ein fremdes, ein verletztes Element ins Grundgefühl eingeschmuggelt

so, dass Fließbewegung, Unmittelbarkeit eine andere.

im Weiteren konnte das sein: eine Grundgefühltönung, die sich signifikant unterschied. Wovon?

 

Von ungebrochener Offenheit, ungebrochener Freiheit.

Gar Himmelsoffenheit, Himmelstorfreiheit.

Ja, es ist

nicht zufriedenstellend beschreibbar. Auch dann nicht, wenn ich noch einmal ganz anders und über Seiten ansetzen würde.

Jedenfalls

da

siedelte sich diese Nachdenklichkeit an.

Wie frei, im Innern, einst, konnte ich zu anderem und anderen dann noch durchbrechen?

Bis hin zu der Frage, war selbst

die Erinnerung noch wie zuvor?

Nachdenklichkeit aus der Gebrochenheit.

 

Auch setzte sich fort

 

Angst gegen gutes, besseres Wissen.

 

Trat einst ein, in ein Büro. Und nahm etwas wahr, was ich nicht mehr vergessen konnte. Ja, es war eine Frau. Ich erhielt von dieser Frau eine einstündige Beratung, es ging um Verträge und Geld. Eine solche Frau hatte ich an einem solchen Ort nicht vermutet. Konnte kaum anderes denken, wie berechtigt oder unberechtigt es auch war: So ist es also, wenn jemand keine bzw. keine spürbaren Gifte in sich trägt. Natürlich: kann das so nicht stimmen, dachte ich. Aber sie strahlte etwas Derartiges. Eine nicht endende Frische. Eine sonderbare Frische. Eine sonderbar angenehme Frische und weit mehr. So ist es also, dachte ich, wenn ein Mensch absolut gedeiht. Mir war klar: Wenn sie zu erzählen anfinge, würde anderes hörbar. Dennoch!

Im Verlaufe des Gesprächs hörte ich, dass sie eigentlich in M. arbeite. In M. vollzog sich die Tat. An mir. Ich war zwanzig Jahre alt und konnte nicht begreifen, mein Gefühl konnte nicht begreifen, dass jemand so intakt war, so gedeihen konnte an dem Ort, in dem ich mich zu Tod zu fürchten hatte.

Die Empfänglichkeit dieser Frau vibrierte auf allen Ebenen völlig ungebrochen. Dabei war sie bemerkenswert bewusst. All die Verhaltensweisen, die ich nicht schätze, waren ihr nicht zu eigen.

Und es kam die Vorstellung, dass ich selbst, im Ort M., an ihrer Stelle, ›auf dem Präsentiertablett‹ angestellt sei, für jedermann, der eintrat, sichtbar. Und . . . es kam das Wort ›Irrenhaus‹.

Neben dem ›Nurschmerz‹, dachte ich, der mit diesem Ort verbunden wird, gibt es so etwas wie eine Anziehungskraft des Irrenhauses. Steht für: sich verhalten wie man will. So unkontrolliert wie es aus einem herausschlägt. Im Grunde eine Kindheitsfigur. Eine umgekehrte und verquere: Freiheitsfigur. Befreit von allen Konventionen und allem. Das war es, das mich reizte. Von daher streut das Wort ›Irrenhaus‹ andere Reize als etwa das Wort ›Psychiatrie‹. 

Ich war nie dort.

Als Besucher einige Male.

Nicht untergebracht als jemand, der dort behandelt wird.

Und möchte da auch nie hin.

Doch dachte nicht selten an dieses Wort

im angedeuteten Sinn.

In der Literatur ist ›Wahnsinn‹ ein Großbereich.

So vieles ließe sich anführen. Aus meinem Gedächtnis schwand nicht mehr die Erzählung ›Amras‹ von Thomas Bernhard, die ich früh kennen lernte. Sie endet:

 

›… vermeintlich in Sicherheit, den Versuch zu machen, meine Ungehörigkeit aufzuklären.

Mein Studium will ich nicht aufgeben, in Zukunft nur noch in mir selbst betreiben . . . herrschen in unseren Irrenhäusern uns alle beschämende Zustände.‹

 

*Irrenhauskammer*, dachte ich, Chiffre dafür, einzusinken, stellvertretend für die ganze Erfahrung.

Anziehungskraft, offenbar, des Eintauchens:

 

›Mit mir sind ganz neue Flächen, ganze neue Kreise, ganz neue Rechtecke, mit mir ist eine ganz neue Architektur geworden.‹

(Thomas Bernhard, Amras)

 

 

 

 

Die Schwäche, einst, über das, was wirklich bestimmend in sich ist, nicht zu sprechen, spielte zu.

 

Gab andern den Vortritt.

Hörte zu, bestärkte sie.

Doch auf einmal war es zu viel.

 

Die Anteile stimmten nicht. 

 

Fragilität

 

Hätte ich ganz gesprochen, wär es gewaltig ausgefallen.

 

Der Abgrund war zu breit.

 

So ließ ich anderen den Vortritt. Sagte nichts.

 

Stand passiv dabei – beim Dringlichsten.

Im Innern sah es anders aus: höchst aktiv.

 

›Konnte nicht‹ in einer kurzen Sequenz mal etwas wirklich klären.

 

Ebenso im Konflikt: still oder gewaltig.

(zu still oder zu gewaltig)

 

hätte oft den Eindruck gemacht, mir gehe es gut, ich habe freie Zeit, ich habe Glück.

 

habe dieses Bild mitunter selbst erzeugt, teils bewusst, teils unbewusst: ist – auch – Wunsch-Bild der Eltern.

 

*

 

Lange war ein Fort-Schritt

da im Innern, wo es wirklich, wirklich nötig erschien, zu explodieren.

da, wo dem nicht anders beizukommen war, als ich nicht mehr einsinken wollte.

Fruchtbarkeit einer solchen inneren Explosion.

 

*

 

innere Sonne

 

Sonntags-Frühstück auf der Terrasse, so ganz in Ruhe, draußen trübte es sich ein, es

gehört zum Befriedigendsten auf der Erde -, sich langsam und bewusst so zu füllen und

sein Leben gefühlt etwas in Ordnung zu haben. 

 

*

 

Erinnerung: Auf dieser öffentlichen Couch, Nähewünsche . . . nach . . . zutiefst innerer Fühlwärme, beidseitiger Zuwendung.

 

*

 

Fußball zu spielen im Verein noch mit 17 war für mich wichtig, auch deswegen, weil ich dort, nach den Vorkommnissen, anerkannter Teil eines anderen Kollektivs wurde.

 

*

 

Auf der Terrasse morgens zu zweit ohne Reden.

Universum. Solche Sonne.

Verwandlung des Herbstbaumes vor schweigenden Augen.

So erholsame Momente.

Das Weiterwandern des Universums selbst.

Bewusste Momente in ihm – das ist es schon.

Mehr ist nicht.

Mehr war nicht.

Mehr wird nicht kommen.

 

 

 

 

 

 

 

War in einem vollständig anderen Zustand als Hausbewohner.

Wollte mich nicht mehr angleichen.

 

*

 

Das Made-im-Speck-Lachen, als jemand in innerer Not. Geheimes Wohlgefühl breitete sich spürbar aus.

 

Was an psychischen Resten in einer Stadt unterwegs ist.

 

*

 

Erinnerung: Der Junge, der sich mit seinem Vater maß. Noch im Lebensabschnitt, Taschengeld zu bekommen.

 

*

 

Mit 18 stand ich in Marokko mit dem Fuß auf einer niedrigen Mauer und sah aufs Meer. Da passierte etwas. Ich nahm mich in einer höheren und absolut besonderen Identität wahr. In einer Weite, bei der ich wahrnahm, sie sei Gott.

 

Es sagt also – zunächst und vielleicht nichts anderes – etwas darüber aus, was ich wahrnahm.  

 

*

 

Irgendetwas in seinem Gesicht ließ mich hinsehen.

 

*

 

Stetig versuchte ich geschehen zu lassen: dass sich unangenehme oder gar zerstörerische Bedeutung abbaue. 

 

Als Bedeutung ganz abgeflossen war, war ich frei.«

 

 

 

eine Gestaltlosigkeit, die an Elektrizität erinnerte, löste sich aus allem