»Ich weiß nicht«, sagte er, »ob ich 2015, als mich die Nachricht deines Todes erreichte, Trauer empfand. Bestürzung ja, zutiefst.
Du warst so lang schon nicht mehr in meinem Bewusstsein gewesen, wenn ich auch nie aufgehört hatte, gelegentlich, schließlich in übergroßen Zeitabständen, an dich zu denken.
Ich habe nun Zeit. Mein Leben hat sich nochmals oder wieder verändert. Nach solcher kollektiven Fülle sind Partnerschaft und Alleinsein das für mich Richtige.
So gehe ich daher. Und suche und finde sie sofort: die Karolingenstraße. Ein einfachstes Haus. Vater Handwerker. Aber eine engelhafte Tochter. Keine Idealisierung. ›Ich weiß ich weiß‹, aber du hattest, außen wie innen, wirklich etwas Engelhaftes. Ein Bestandteil von dir. Das wurde von allen wahrgenommen.
Deine Eltern leben offenbar noch, der Nachname noch am Klingelschild. 7 Jahre später. Kirschblüten füllen einen Hof aus.
Das ganze Schul- und Ausbildungstrara, einst, hattest dich etwas darin verstrickt, es ging dir nicht gut dabei. Was für ein Zeitklau im Nachhinein! Wie werden die Menschen doch bestohlen und nicht zuletzt gezwungen! Jedenfalls schwer, sich über all das hinwegzusetzen, in der Jugend. Du hattest dann einen kleinen Job in München am Flughafen. Ab und zu, in größer werdenden Zeitabständen, schriebst du mir.
Es war eine Freude und zugleich keine große Freude, Post von dir zu erhalten. Ich wusste, dass und wie du mich mochtest. Aber wusste auch, dass du etwas anderes suchtest. Wahrscheinlich etwas sehr Konventionelles.
Aber im Herzen und tiefen Inneren verstanden wir uns – mehr als gut. Viele Unternehmungen gab es im Alter zwischen 17 und 19. Immer in einer kleinen Gruppe. Ich war nicht besonders bei mir, in jener Zeit. Gerade weil ich am meisten mit dir zusammen sein wollte, hatte ich andere Freundinnen, das verstehe jemand.
Ich verstand es schon damals; ich hatte Ehrfurcht vor dir, es überforderte mich, mich dir zu nähern.
Einmal, in meinem Jugendzimmer, schliefst du auf meinem Bett ein. Hattest zuvor – sonst warst du sehr vorsichtig mit Alkohol – eine Flasche Sekt geleert. Lagst selig in der Wärme meines Plumeaus. Ich machte auch aus dieser Situation nichts.
Ich gehe nun die Karolinenstraße zurück. Der ein und andere kommt entgegen. Organische Wesen, so ist es halt, die sich täglich mit Nahrung und was allem zu versorgen haben. Neue Menschen, jetzige Menschen. Immerdar. Jeder zu einem Gutteil in seinem ›Film‹. Wo bist du, mit deiner Wärme, deiner Sphäre? Und habe die Vorstellung von Menschen, die nach ihrem Tod erst zu sich kommen. Jeder nur einmal da. Du warst schon hier. Ich empfinde Trauer.«