Aufgabe
(Bild: siehe Signatur)
»Ich sah einmal ein Bild, auf dem sitzt ein Mann an einem Tisch, den Kopf über gesenkt und tief und ganz versunken. Vor ihm eine Flasche Schnaps und ein Schnapsglas. Sonst fast nichts.
Das Bild«, so Marcel, »zeigte für mich den Moment der Aufgabe. Ein Mensch gibt auf. Will nicht mehr. Weiß nicht mehr. Der Knoten seines Lebens offenbar zu groß.«
Aber geht es nicht gerade darum, daß uns nur noch die nackte Tatsache bleibt, als zäher, unverdaulicher Brocken, der einem für ewig im Hals steckt?
(Imre Kertész)
»Es kam also an den Punkt: Entweder es ist Aufgabe – oder
es wird in ihr die Aufgabe erkannt.
Ja, es wirkt fast zu blöde, wenn es ausgesprochen wird: Welche Aufgabe?
Ich sah in dem Bild auch Folgendes: Eine kleine Geschichte mit Alkohol.
Unsicherheit, ja eine ganze Herkunft voll Unsicherheit.
Dieses Großwort, fast Unwort: Herkunft.
Klingt bereits wie ein Stigma.
Wird auch so gebraucht.
Also einfach Unsicherheit.
Alkohol und Inspiration.
Dieser Moment vermeintlichen Erwachens.
Danach: Wieder Unsicherheit.
Nicht in der Meinung.
Im Kontakt.
Schon lang her, aber auch das: reichte.
Unsicherheit im Kontakt gepaart mit fehlender Entschiedenheit
öffnete das Tor.
War mitverantwortlich dafür, dass die Öffnung dann so ausfiel.
Mit Öffnung im Kontakt – trat dann was ein?
Woher es auch kommt, sagen wir, das Ungeheuer in sich. Ich bin ja nicht der Einzige, in dem solches steckt.
Dieser ›Gedanke‹ half mir: es auszumalen, es anzumalen, es auszulachen, es kleinzuhalten, es zu beherrschen, damit zu machen was ich will: etwas wie den 'Abgrund der Welt': spezifisch und unspezifisch.
Natürlich gelingt es nicht.
Aber es gelingt bereits, indem dies aufrechterhalten wird.
Jedenfalls: Immer gleichen Ernstes unter etwas leiden ist kein Weg - - -
›Bist fremd du eingedrungen,
So fürcht Erinnerungen,
Sie stürzen auf Waldwegen
Wie Räuber dir entgegen.‹
(Nikolaus Lenau)
Die immer gleichen Räuber, durch die Zeiten.
Heilsame Beziehung zu sich selbst – auch schon so verbraucht, dieser Satz –, sonst ist da doch
kaum ein zuverlässig bearbeitbares Feld.
Ein Stück weit das Phänomen »die anderen« kappen. Wie ging das?
›Jene Latenz‹, schrieb ich einmal, ›blühte durch Kontakt immer neu auf. Sie – die Latenz – also nicht mehr als Auslieferungsprozess nach außen, zu einem andern hin, verstehen, sondern als immanente Anteile. Das schafft Unabhängigkeit und Erleichterung.‹
Wenn es auch da, wie überall, ›die Lücke‹ gibt.
So weit kam es eben: dass Kontakt zu einem Auslieferungsprozess wurde.
Es geht aber darum, die Abhängigkeit vom Außen – von Reaktionen – richtungsweise aufzulösen.
Das gilt am besten für alle, auch für den Partner.
Auch der Partner kann einem ja zusetzen.
Und«, so Marcel, »es geht auch darum, mich nicht mehr zu bemühen. Ich möchte existieren, wie es existiert, und mein Verhalten auf niemand mehr abstimmen.
Vielleicht ist das auch in diesen Zeilen drin, Gottfried Benn, 1936:
›Dich verstreut und dich gebunden,
dich verhüllt und dich entblößt –,
Saum von Rosen, Saum von Wunden –,
letzte Blicke, selbsterlöst.‹
Und alles viel schmerzhafter, viel langwieriger, als es sagbar ist oder irgendwo steht, das sowieso.
Seit jenen Vorfällen, die die Latenz erschufen, hatte ich jedenfalls keine Chance mehr, ›Person‹ in dem Sinne zu sein, verstehe das wer will.
Und auch dies: Als nahe Menschen etwas über mich schrieben, es gab da einen schönen Anlass«, so Marcel, »merkte ich, als ich es las, eine Reaktion an mir selbst, als sei ich verblüfft. Es wurde da nicht nur über mich geschrieben. Bei den andern, so 'begrenzt' ihr Weg auch ausgefallen war oder anmutete, wurde etwas ersichtlich, sagen wir: eine Nachvollziehbarkeit. Um nicht zu sagen: eine Identität. Zu mir wurde Wesentliches nicht gesagt. Und es wurde im Grunde auch nichts nachvollziehbar. Heißt, ich blieb auch in dieser Festschrift allein. Und es fiel mir auf, als hätte ich es nicht gewusst –, dass ich es selbst kaum je dargestellt hatte. Stimmt das? Mehr oder weniger ein Chamäleon gewesen war, so kommt es mir heute vor, das im Untergrund gegenläufige Welten ausbrütete. Als hätte ich erwartet, dass jemand etwas davon mitbekommt oder gar: anerkennt.
'Es ist jetzt wirklich Schluss'«, entglitt es Marcel an diesem Abend, »mein Leben gehört nun vollständig mir, noch vollständiger als zuvor. Was dabei herauskommt, habe ich ja selbst erst wieder zu sehn.«