»Erinnerung: Ankommen und drei Wochen Urlaub vor sich haben. Sich ganze Tage Zeit lassen, um auch richtig anzukommen. Drei Wochen an einem unbekannten Ort.

 

Ist ein Paar getrennt, geht es beiden oft bald besser, weil jeder wieder sich selbst.

 

Bodenlose Traurigkeit über die Beziehung – ist das andere. Weit mehr: den andern so tief im Körper zu haben.

 

So warm das Wasser im Watt um die Füße spielt. So weich die Masse unter den Füßen. So weit der fast menschenlose Horizont.

 

 

 

 

Carl sagte: ›Ich hörte einmal, dass ich zu sehr Sohn sei. Eine Elternbeziehung zu haben, die nicht normal sei.

Warum? Weil ich in fortgeschrittnem Alter, in einer ja besonderen Situation, abends oft bei den Eltern war.

Unterstellt wurde wohl, dass es sich um ›fehlende Abnabelungsprozesse‹ handele.

Jedoch einfach von der Häufigkeit auf etwas dieser Art zu schließen, ist eine Fehleinschätzung, die meine Persönlichkeit demontiert.

Dasjenige wurde in entsprechendem Alter vollzogen: es wurde gekämpft, gelitten, sich mehr als deutlich durchgesetzt.

Wenn ich meine Eltern heute wieder oft sehe, gehört das zur Voraussetzung und ist die Basis dafür.

Der Grund, meine Eltern zu sehen, ist ein ganz anderer.

 

Ist auch nur ein Urteil von außen, war kein Interesse da an der Innensicht, sind bloß Figuren der Lieblosigkeit.‹ 

 

Emotionen, nicht nur körperlich-psychisch herauslassen – eingebettet in spirituell Tragendem.

 

Nach solcher Hitze die Tagesfarbe, Abendfarbe nun so, dass alles deutlicher wird.

 

Auf dem Bett liegend, mein Tierschweißkörper.

 

So erbarmungswürdige Laute im Schlaf.«

 

26.6.2021, Samstag

 

»Tag im Strandkorb. Direkte Sicht aufs Meer. Alles, was in sich erscheint, kommen lassen, beobachten, ziehen lassen.

 

Ein Tag, der so beginnt, dass jede Bewegung mir zu kompliziert - - - kaum der Eindruck, nur irgendetwas hinzukriegen. Aber ein gutes Gefühl, mich dem ganz zu ergeben.

 

Mit jemand da zu sein, mit dem ein Vertrauensraum besteht, ist

wahre Hilfe.

 

So viele Sachen dabei, dass ein Tag im Strandkorb verbracht werden kann.

 

Abgründe, die ich schwer kontrollieren kann, wenn ich wirklich verletzt wurde oder es so empfinde.

 

Sonne und Wärme halten sich. Das Gefühl, im Meer gewesen zu sein, ist das einer Geburt, so stark empfand ich es. Erst jetzt bildet sich ein echter Anklang der Seele, das Gefühl, am Erdengeschehen etwas teilnehmen zu wollen.

 

Vom Strandkorb aus zu sehen, wie sanft die Wellenbewegung der Nordsee heute ist, und: wie mild und wärmend ein leichter Wind den Körper umspielt. Ein Kind mit Schaufel, das ins Freie ruft. Phänomen Paar. Wie tief Sehnsüchte und Wünsche heraufstrahlen. Ich ahne Begebenheiten in Menschen, die vorüberziehen, die so weit zurückliegen und noch da sind. Von außen naturgemäß nicht identifizierbar, aber eine solche Begebenheit wird auf einmal so groß und anschaulich wie die überdimensionale Plastik eines Bildhauers, die in einem Museumsraum ausgestellt steht. Ich gehe darauf zu – und schaue sie mir lange an, von allen Seiten.

 

Kleine Wellen springen vor dem Auge auf, als wären sie ganz neues Leben.

 

 

Überall die Frage, was sind es für Gestalten und Phänomene?

 

Eintritt in den Wald, der direkt am Meer liegt. Mit der Tageswärme aufgeladener dichter, dunkler Waldraum, der meinem Wunsch, abseits zu gehen, entspricht.

 

*

 

Spielplatz am Wegrand. Angst im Körper einer Frau spüren, deren Kind in gefährliche Situation geriet, Angst, die den ganzen Körper erfasste.

 

Einfach in den Raum hinein gedacht . . .

 

Co-Abhängigkeit = immer nur zu sehen, wie es dem andern geht. Was könnte passieren?

 

Co-Abhängigkeit in Beziehungen = guckte ich stetig danach, wie sich der andere befindet?

Ich habe es lernen müssen, mehr und mehr – in Beziehung – meine Bedürfnisse zu realisieren.

Nicht: großzügig darüber hinwegzusehen.

Nahezu alle Partner taten das oft nicht.

Waren nicht zimperlich darin, ihre Bedürfnisse durchzusetzen.

Offenbar erwartete ich dafür doch etwas, denn es meldete sich Wut, wenn das Verhältnis zu schief wurde.

Es hilft nur, an geeigneter Stelle, ohne zeitliche Verzögerung, sein Bedürfnis einzubringen: beim Wunsch der Einlösung oder einer Teileinlösung zu bleiben.

Das alles verstieß gegen meine Auffassung von Liebe.

 

 

Gelesen über Murat Kurnaz: Im Käfig existieren, bezogen auf die Grausamkeit der Folterer, keine Sozialbeziehungen, weitgehende Reduktion auf Kindlichkeit. Sich angefreundet mit einem Leguan. Zur Folter gehörte, ihn zu töten.

Emotionale Instabilität blieb

 

nicht

 

?

 

War ich eigentlich einmal mit einer Partnerin zusammen, die eine grundlegend gute Kindheit hatte?

 

Beziehungsweise was ergibt das für einen Menschen, wenn von vornherein keine Liebe oder was da war? 

 

*

 

Zu belastend für den jeweils einen, was der jeweils andere mit sich trägt und will?

 

Größtes empfundenes Defizit bei sich selbst: Menschen nicht sofort und stabil und von selbst einen Wohlfühlraum bieten zu können.

So empfunden, weil es einmal war.

 

Keine Berührung vertragen, wenn Raum der Empfänglichkeit in sich nicht realisiert werden kann.

 

*

 

Watt. Nun fernes Meerrauschen. Sonst Meerraumstille. In die ab und an eine Möwe schreit, ein frohes Stimmengeflecht einsetzt. Menschen, insbesondere Kinder, die sich irgendwie hell freuen am Meer.

 

Essen gehen, im hinteren Bereich der Dünen, ein schöner Platz im Freien, angenehme Gäste, helles Wetter. Die junge Bedienung der seltene Fall eines Menschen, den ein großer Herzraum umgibt. Ein Mensch, der offenbar nicht viel weiß, aber dessen unbedingte Ehrlichkeit berührt. Als sie geht, nach etwas fragt, steht ihre Stimme als etwas Großes im inneren Raum. Zum Erstaunlichen gehört, dass es sich so anfühlt, als seien da keine Abgründe.

 

Es ist Sehnsucht, die wieder geweckt wird, mit einem Menschen

ganz

zu sein.

Die Besonderheiten zu leben.

Ganz ohne Doppelbödigkeit.

 

Die ›Pathologie‹ bestünde darin, hörte ich einmal, in seinen Beziehungen nicht froh zu sein. Wenn sich unter Menschen nicht voll eingelassen werden könne.«

 

 

 

27.6.2021

 

»Gott, so blitzt es auf, ist vor allem im jungen Leben, das sich noch wirklich sucht.

 

Einfachste ›Definition‹ von Gott: Das, was diesbezüglich in sich realisiert wird.

 

Hatten wir sie nicht, unsere Wunder?

 

*

 

Meine Wahrnehmung sowohl fest als auch flüssig. Ich nehme die Kontur wahr, aber auch die Bewegung in Körpern und Gegenständen.

 

Wie real ist das, ist es nur Vorstellung?

 

Ist da etwas durchgestoßen, mit dem nun alles fließt?

Und wäre ›fließen‹ der treffende Ausdruck? 

 

›The dark night oft the soul‹ in spirituellen Zusammenhängen: Die Persönlichkeit nicht ganz verlassen können, in der Seele (noch) nicht ganz ankommen. Nirgendwo mehr ankommen

 

bzw. wo?

 

Macchiato trinken im Strandkorb.

 

Als der Mensch, mit dem ich hier, für eine Zeit gegangen: die Freiheit, in der ich allein bin.

 

Eigentlich eine Freiheit, in der außer sich selbst nichts ist.

 

Die ›alten‹ Verletzer scheinen nicht mehr zu greifen.

Wenn sie greifen, greifen sie nun ›ins Leere‹.

 

Eine vorübergehende Lösung: Es verletzt nichts mehr, es hält nichts mehr auf, wenn nur noch Eines da: das eigene Leben.

 

Sich nicht einreden lassen, dass dies a-sozial sei. Nach allem, und auch nicht ›nach allem‹, habe ich ein Recht auf mein Leben.

 

Viele Zugänge mehr oder weniger nun gesperrt. Endlich jene, die belastend. Dies, ein Segen.

 

Ich brauche auch keinen Hund, der sich stetig freut, ich freue mich selber, ein Hund nervt mich im Grunde, weil er mir mein Leben aus der Hand nimmt.

 

Auf einmal ist es, als liefen alle erotischen Dispositionen, die in diesem Raum anwesend, zusammen.

 

Was hat der für eine herrliche Freundin?

 

Da liegen all die Köstlichkeiten am Strand.

 

Das ist der Punkt. Ich möchte Erotik, ich möchte vielmehr komplexe Geborgenheit, geben und nehmen, ich möchte Berührung, sanft, verantwortungsvoll, verbindlich.

 

*

 

Etwas dem andern nicht sagen, was man zu ihm analysiert, wenn es einen unliebsamen problematischen Bereich für ihn erweitert.

 

Je weniger Außenwelteindrücke, desto mehr in mir.

 

Etwas abseits vom Hunde- und Menschenstrand ein Weg, von niemand begangen, noch die Stimmtöne, vom Meer getragen, im Ohr, aber schon überwiegend in der Stille; in solchen Momenten eines Zwischenbereichs fühlte ich mich von jeher wohl. Hier darf gesteigert kommen: das Tote. Das Lebendige.

 

 

 

Gemeinsame Stille, das gab es einmal zwischen uns, nicht lange her.

 

*

 

Erinnerung: Gereiztheit, die dem Siedepunkt zuläuft: das kann einfach ein Zuviel an Eindrücken sein.

Etwas Ruhe brauchen, aber kognitiv in etwas reingezogen werden oder sich selbst reinziehen.

Ärgerbildung, die missverstanden wird, Kränkung und Wut auslöst.

Schlechtes Gewissen, das sich vertieft, statt die Kostbarkeit gemeinsamen Daseins zu genießen.

 

Etwas anderes war: Von jemand nichts zu wollen, aber ihn zu sehr reinzulassen aufgrund von fatalen Öffnungen in sich selbst.

 

Kosmische Gerechtigkeit.

Ein so großes Wort.

Es spiele keine Rolle ob es sie gäbe oder nicht. Wer davon ausginge, dem gehe es besser, der könne mehr tragen.

 

Meine Geschichte möge eingeflossen sein, aber sie habe sie nicht empfinden können.

 

Stattdessen wurden Biographien, Leben dargeboten, die zu bewundern seien.

 

Voraussetzung sei, erst einmal dasjenige anzuerkennen.

 

Ich kann und will nicht einfach affirmieren. Falls es Anerkennung bei mir gibt, ereignet sie sich bei einem Durchgang auf Augenhöhe.

 

Das gilt auch für den tibetischen Mönch, der in einem chinesischen Gefängnis gefoltert wurde, dessen hauptsächliche Furcht es gewesen sei oder war, sein Mitgefühl mit den Tätern zu verlieren.

 

Warum konnte ich nicht berühren? War es so?

Es liegt ein Defizit, eine fehlende Qualität darin, es nicht gekonnt zu haben.

 

Lag es auch daran, weil ich keinen Resonanzraum erhielt?

So missriet das, was ich zu sagen hatte, zu ›Theorie‹ und Schärfe?

 

Sie könne dies von mir nicht wertschätzen.

 

Wobei wir beim Kern sind. Andere werden gewertschätzt – in tief existenzieller Angelegenheit, ich nicht.

 

Kann ich sie gerade wertschätzen?

 

Ich war zu angerührt, zu involviert, und konnte nicht berühren? 

 

Hinter all dem steht: nicht gesehen zu werden, wie ich wirklich bin.

 

Nur ›Zaungast‹ zu sein – ich war es ein Leben –, wenn es darum geht, dass ein Dasein in Kernen verstanden und anerkannt wird.

 

Ein Leben darum gerungen, etwas verstehbar zu machen, was schwer zu verstehen. 

 

In einem bestimmten Punkt singulär.

 

Alles ist spezifisch, aber nicht alles ist singulär.

 

An dieser Stelle entsteht er, der Vorwurf, anmaßend zu sein.

 

+

 

Was für Sätze nun aus sich selbst springen: ›Die Schuld der Nichtaufgeräumtheit.‹

 

Wenn es nur noch rasender macht, im Auge des andern wieder verloren zu haben. 

 

Was hatte ich wieder gemacht? Ich war auf einen Auslöser eingegangen.

 

Lösung: Auf keinen Auslöser mehr anzuspringen?

Jedenfalls nicht in diesen Koordinaten.

 

Ich solle nett zu mir sein.

 

Ich möchte jetzt nicht.

 

Traum in der Nacht: Ein Gast mit sonderbaren Augen, er reagierte kaum, war aber ganz anwesend. Er schenkte mir ein Lederetui. Für meinen Schlüssel.

 

Es erschien der Satz: ›Ich mag denjenigen in dir, wer da auch kommt.‹«