Nun, da es gilt, dir von der Seele zu reden, was nicht mehr gutzumachen, versagt deine Rede.

(Ulrich Schödlbauer)

 

Beabsichtigt ist: Der fairste Versuch, eine Beziehung zu verstehen.

 

Gliederung:

Du und Ich

Öffentlichkeit als Lüge

Das allmählich fallengelassene Du

Im Selbsterhaltungsmodus

 

Der nachfolgende Text orientiert sich an »Die Fremdheit des andern« von Ulrich Schödlbauer. Dieser Text hat naturgemäß andere Implikationen als das, was im Folgenden erarbeitet wurde. Und doch gibt er es her. Die Orientierung besteht darin, dass die Gliederung aus der Verlaufsstruktur von »Die Fremdheit des andern« gewonnen wurde und, wenn auch nicht der Chronologie des Textes nach, Zitate eingesetzt werden.    

 

1 Du und Ich

 

Wir haben uns offenbar verloren. Obwohl es in mir weiterhin etwas gibt, das sich nicht so anfühlt. Wir haben uns aus den Augen verloren. War es wirklich unsere Schuld?

 

Natürlich war es unsere Schuld. Wir hätten anders mit uns umgehen können.

 

Es gibt da aber einen übermächtigen Einflussfaktor, an dem so viel hängt, auf den ich zu sprechen kommen möchte: den Beruf. Die berufliche Tätigkeit. Ein Mensch wie du, so du. Ich weiß doch, der nicht anders kann, als sich – einzugeben, selbst wenn er es anders versucht, ganz.

 

Ich selbst in dieser Glückssituation. Aber wie sehr angeschärft durch das, was hinter mir liegt, erweitert mein Leben zu realisieren.

 

Daraus erwuchs der große Konflikt, von dem sich wohl die meisten Konflikte zwischen uns ableiten lassen.

 

Es sei gesagt: Du, den ganzen Tag eingespannt, versuchtest lange Zeit bestmöglich, Räume zu schaffen.

 

Ich, den Tag weit überwiegend an selbstgestellten Aufgaben im eigenen Rhythmus.

 

2 Öffentlichkeit als Lüge

 

Ein Gespenst geht um in den Ländern der Freiheit: die Lüge. Alle Mächte des alten Westens haben sich mit ihr verbündet: Kirchen und Präsidenten, Schwarzrotgrün, die grau gewordenen Pioniere des Silicon Valley und die deutsche Polizei.

[…]

Die Macht der öffentlichen Lüge ist so groß, dass sie alle Binnenverhältnisse zerbricht. Vor ihr gibt es keinen Nächsten (nur eine wechselseitige Simulation ›auf Zeit‹) und von ihr gibt es kein Zurück.

(Ulrich Schödlbauer)

 

Was hat das mit unserer Beziehung zu tun?

Eine Menge.

Auch die Handlungen in ›sozialen‹ Berufen beruhen weitreichend auf Simulation.

So deutlich spürte ich, dass du alles versuchtest, bei dir zu bleiben, und wie gut dir vieles gelang.

Aber ich spürte auch den Modus subtiler Scheinhaftigkeit, wenn du im beruflichen Kontext agiertest, der der Art des Verhältnisses eingeschrieben ist.

Jeder weiß: Eine gewisse Anpassungsleistung dieser Art ist zu erbringen oder . . . ja oder . . . man fliegt heraus.    

Aber muss deswegen eine Beziehung infrage stehen?

Vielleicht schon, wenn rund 80 % der Lebenszeit damit befasst sind (einschließlich Erschöpfung und Ausruhen).

Es hätte gut verlaufen können?

Wie gut und klar wir dieses Problem von vornherein fassten. Und wollten es unbedingt vermeiden, dass es uns gegen uns aufbringt, unbedingt!

Doch allein diese Anspannung – andere Anspannungen kamen beidseitig hinzu – reichte offenbar aus, um den Rückfall in die ein und andere Verhaltensweise zu befördern.    

Am Ende des ersten Urlaubs, spätestens da, brachen sie zum ersten Mal voll heraus: meine Aufgeregtheit, die nicht mehr lockerlässt; deine Lähmung, die auf Weiteres nicht mehr endet. Dieser große Gegensatz.  

 

Nach und nach beginnt die Kritik auch hier ihr leises Spiel: nicht, um zu ›vernichten‹, sondern um seiner selbst und um des Bündnisses willen. Aber diese Kritik bleibt unernst. Sie will nicht wehtun, weil sie nicht wehtun darf. Eigentlich darf sie gar nichts. Beide Seiten sind sich bewusst: schon der hingeworfene Satz »das sehe ich kritisch« kann zum Zerwürfnis führen. Es gibt keine Grenze zwischen erlaubter und unerlaubter Kritik. Es kann sie nicht geben. Kritik, wie immer sie sich präsentiert, ist gefährliches Spiel, ein Spiel mit dem Feuer.

(U.S.)

 

Sicher ist das ein schmaler Grat. Einerseits muss 'alles' gesagt werden, in einer Beziehung, sonst verstopfen die Kanäle, blockiert es in ihnen. Andererseits ist der Ton zu treffen, eine Sprache zu wählen einschließlich nonverbaler Signale, die auf Weiteres integrierfähig sind.

 

Vielleicht war es auch manches Mal zu ungehörig, auch jenseits von Kritik, was ich zu sagen hatte, ungehörig und unerhört ist der Mensch, wenn es der ehrlichste Strom ist.

 

Ungehörig auch die öffentliche Verarbeitung. Warum mache ich das?

Weil ich so überdeutlich spüre, dass es sich so am besten verarbeiten lässt.

 

3 Das allmählich fallengelassene Du

 

Ein so langer, so schmerzhafter Prozess.

 

Vielleicht wuchs mit dir ein letztes Mal in meinem Leben zur Überzeugung heran: von dir möchte ich nicht mehr getrennt sein im Sinne von »es ist nicht vorstellbar; ich will nicht«.

 

Von hier aus ist der Schmerz zu ermessen.

 

Was geschah?

 

Es traten die Verhaltensweisen mehr und mehr hervor, die uns jeweils immanent sind, also ganz normal.

 

Nun hatten wir maximal zwei Wochenend-Tage in der Woche bei getrennten Wohnungen, zwischen denen vierzig Kilometer liegen. In diesen beiden Tagen war, von dir aus betrachtet, Folgendes zu leisten:

 

1 Das Mindeste von dem zu tun, was in der Woche liegen geblieben war.

2 Sich von der Erschöpfung zu erholen.

3 Die Beziehung zu leben.

 

Was saß kaum und nicht drin?

 

1 Zeit für sich, die du natürlich auch dringend gebraucht hättest.

2 Und: Jede »Störung« durch die Beziehung wog schwer.

 

Doch, was ich als »Störung« bezeichnet habe, gehört offenbar zu den Voraussetzungen, eine Beziehung leben zu können. »Beziehungsarbeit« wird allgemein gesagt, das war uns hochbewusst. Und es wurde da auch nicht wenig getan!

 

Aber Montagmorgen tickten die Uhren wieder anders. Augenblicklich, wie du sagtest, habest du alles wegzudrücken, insbesondere das, was allgemein »Konflikt« genannt wird, und kamst – glatt, aber zutreffend gesagt – aus dem Modus bis Freitagabend gar nicht mehr heraus. Und: In welcher Weise bis Montagmorgen da überhaupt herausgefunden werden kann . . .

 

Aber was hätte angestanden?

 

Angstanden hätte, das ein und andere zwischen uns in Ruhe angehen zu können einschließlich der Zeit, in der es eine Chance auf aktive Verarbeitung hat.

 

Was geschah anstelle dessen?

 

Bei mir geschah, dass ich gereizter wurde. Ich kam mit der vorgesehenen Zeit einfach nicht hin . . .

 

Und, was musst du erst sagen . . . . . Du, die du diese ganze Arbeitswoche hinter dir hattest, ein Patient nach dem andern. Und vor allem: auch wieder vor dir. Und großes Pech, mit neuen Nachbarn, die vollständig uneinsichtig akustischen Terror ausübten, der so weit führte, sich in der eigenen Wohnung nicht mehr erholen zu können. Das alles Gift für die Art, die uns beiden zu eigen: sich gut reinsteigern zu können.

 

Wie äußerte sich das bei mir?

Durch Einsicht, durch Rücksicht und durch Expression.

Rücksicht, die sich qualvoll anreicherte.

Wie äußerte es sich bei dir?

In zweifacher Hinsicht.

Einerseits fandst du – meines Erachtens – ebenso berechtigte Kritik wie auch einen Sündenbock in der Corona-Maßnahmen-Politik. Ganze Sonntagmorgende gingen in der Art des Monologisierens dabei drauf.

Andererseits schwiegst du. Insbesondere zu uns, was ich einerseits sehr wertschätzen kann. Denn du vergriffst dich nicht. Eher ich. Trugst das Konfliktäre zwischen uns in großer Würde, ohne uns zu belasten.

Doch wir wissen und man weiß: Auch das kann langfristig nicht gutgehen.

 

Auch in diesem Feld tatst du einiges, versuchtest Spannungen für dich selbst loszuwerden.

 

Aber schließlich brach es auch aus dir heraus. Sicher war es ein Mix aus Kritik an mir und der Unmöglichkeit, Spannungen nur in sich zu verarbeiten. So war es wohl das:  

 

Diese Meinung, diese zurückgehaltene, sich selbst verschluckende Meinung, die darauf lauert hervorzuschießen, sobald die Gelegenheit sich günstig erweist, sie bleibt ja nicht untätig während der Zeit der Zurückhaltung, sie entert das Corpus des gemeinsamen Meinens und entwertet es leise leise … nicht von heute auf morgen, nicht von jetzt auf gleich, nicht von null auf hundert, sondern, du musst es so sagen, von Begegnung zu Begegnung.

[…]

Was zeigt sich hinter dem Vertrauen?

Nichts? Misstrauen? Die Allmacht des Mediums. Es zermalmt euch beide im Nu.

Was heißt hier ›zermalmen‹? Eine Auskunft lautet: das Medium dehumanisiert.

(U.S.)

 

4 Im Selbsterhaltungsmodus

 

Dein Kampf, wie ich es wahrnahm, war der Kampf – jedenfalls vordergründig – gegen die Corona-Maßnahmen.

 

Dagegen, was dir und allen im öffentlichen Raum genommen wurde.

 

Dagegen, was du im Mindesten einfach brauchst, um dein Leben leben zu können, wenn es für dich noch eines ist.

 

Mein Kampf war derjenige um Beziehung.

 

Nichts ist ausschließlich.

 

Auch ich rang mit den Corona-Maßnahmen.

 

Auch du kämpftest um die Beziehung.

 

Dein Kampf jedoch war aussichtslos, ich spürte sukzessive, wie er dich auslaugte und verzerrte.

 

Es gehört zur Notwendigkeit des Kampfes, dass du seine Gleichgültigkeit einsehen lernst […] Die Eroberung aber vollzieht sich, daran führt kein Weg vorbei, in der Destruktion des Verbündeten, der dein Nächster ist, und aller Nächsten, die sich in seinem Bild verfangen, also auch deiner selbst. Das ist der Verrat an der gemeinsamen Sache, den die Sache selbst dir aufträgt: auf ihn gehst du zu, in ihn steuerst du hinein.

(U.S.)

 

Nun sei es dahingestellt, ob die Destruktion ja hier: des Beziehungspartners, nicht des Verbündeten, unbewusst oder gar bewusst zur Sache gehört. Zu welcher?

 

Der Corona-Maßnahmen-Kampf ist wesentlich ein Kampf um Teilnahme an adäquaten kollektiven Energien.

 

In dieser Hinsicht nahm ich dich tückisch wahr: Einerseits behauptetest du, dass du nichts als Ruhe brauchest, was zweifellos stimmte. Andererseits aber brauchst du vermutlich weit mehr an Eingebundenheit in einer Gruppe, als es oft durchschien.

 

Die Sache selbst. Nach meiner Einschätzung ist es dieser Kampf und wofür er steht.

 

Eben – zunächst einmal – für die Teilnahme an einer adäquaten Gruppe und in dieser Weise am kollektiven Corpus.

 

Ich brauche diese Eingebundenheit nicht so oder habe sie längst abgeschrieben. Jedenfalls verzweifelte ich daran, dass nicht mehr die Beziehung fokussiert wurde.

 

Und du verzweifeltest an einer Politik, die immer genau das macht, was aus deiner Sicht das Haarsträubendste ist.

 

Ja, du kannst messerscharf ahnden. Und mehr und mehr fiel auch mein Verhalten darunter. Es fiel zusammen mit einem Weiteren:

 

Existenzangst.

 

Es ist hier nicht der Ort, um über deine Existenzangst zu sprechen. Sie ist jedoch gewaltig und sie ist berechtigt.

 

So war es wohl – aus all dem heraus – der Rückfall in den Selbsterhaltungsmodus.

 

Wie kommt der Verrat ins Spiel?

Ganz einfach: du siehst den anderen, der zum Verbündeten wurde, den Verbündeten, der als Nächster du selbst bist, als sei er der Nächste nicht. So groß ist die Macht des Mediums, dass es durch bloße Berührung den Nächsten zum Verschwinden bringt.

(U.S.)

 

Auch ich verriet uns.

Meine Sache war die, möglichst viel Leben zu realisieren.

Blicke ich auf mein Leben: ich habe Bedarf.

Es nervte mich, mich so lange in Arbeitsprozessnebenwirkungen einzufühlen, in all die andern Schwierigkeiten, die kein Ende nahmen.

Und du konntest sehr verstimmt sein, wenn ich es nicht tat. 

Sie fraßen . . . so viel Zeit, so viel junge und frische Kraft.

Ich finde schon: Diese Art Alltag fraß die Beziehung auf.

Wenn es auch der Einzelne war, der es

im Einzelnen

vollzieht und vollzog:

Du

und

Ich.

 

Wohin ging der Zauber, nicht nur derjenige des Anfangs?

 

Oft spürte ich noch davon, bis zum Schluss.

 

Dein System hat versagt und es befindet sich im Selbsterhaltungsmodus.

[…]

Eben noch standest du unter Druck und jetzt bist du einer, der Druck ausübt.

[…]

Deine Entscheidung ist gefallen: für dein System, gegen die moralische Forderung, an der jede differenzierende Interpretation abprallt.

[…]

Was geschieht mit dem Nächsten?

Ruhig Blut: er bleibt der Nächste. Doch die Nähe verwandelt sich in Ferne. Er ist der Nächste, der zum Fernsten wurde. Ein Stolperstein hat es vollbracht.

[…]

Einmal zu viel im Tritt geblieben, es ist nicht mehr gut zu machen.

(Ulrich Schödlbauer) 

 

(für Susanne)