»Oberstes Prinzip für mich war: alle rabiaten Urteile zu vermeiden – verstehen zu wollen, um dieser Liebe willen.

 

Dass ich derart entsorgt wurde.

 

Lässt mich mit dieser Schuld derart zurück. Dass nur mein Verhalten ein ›No-Go‹ gewesen sei. Wie niederträchtig ist das eigentlich? Entschuldige. 

 

Wie klar das Schöne plötzlich wird. Angesichts der Trennung.

 

Sie hat eine Beziehung beendet, die noch nicht beendet war, zu viel darin lebte noch; doch es scheint so zu sein, dass das nur in mir so ist.

 

So wohltuend war es, mit ihr zusammen einen Spaziergang zu machen.

 

Du kannst dir nicht vorstellen, was du für eine Traurigkeit und Trauer bei mir erzeugt hast.« Ich staunte, Lichthof sprach sie direkt an, obwohl ich ihm gegenübersaß.

»Nach diesem Jahr, das wir zusammen verbrachten.

 

Gute Momente hatte auch der letzte Tag gehabt, und du nahmst diesen einen Moment, um die . . . Beziehung zu beenden.

 

Ich merke nun, wie die Seele unserer Beziehung zersetzt wird. Zugleich, dass so viel Seele noch da ist.

 

Die vielen Gedanken, die Gefühle, Überlegungen, das Warten, das Sich-ganz-Einlassen aus einem ganzen Jahr.

 

Ich könnte dich zerstückeln, aber nur im Geiste, und nicht wirklich. Es ist das Gefühl, alles gegeben zu haben, dir mein Leben gegeben zu haben über einen Zeitraum, der mir ewig erscheint, und innerhalb einer Sekunde entsorgt worden zu sein. Ohne jede Rücksprechmöglichkeit.

 

Partner müssten doch fragen, warum der andere etwas tut. Oder ihn wenigstens anhören. Stattdessen wurde sich wie ein konditioniertes Tier verhalten: Reiz – Reaktion. Alle Errungenschaften des Bewusstseins entfielen.

Sah sie denn nicht, hatte sie denn nicht gespürt, dass neuerlich keine Absicht vorgelegen hatte. Selbst wenn ich mich selbst als schweren Fall, etwas nicht zu lernen, brandmarken würde, ›ein schwerer Fall‹, der ich eigentlich nicht bin, wäre das meines Erachtens kein Grund, gleich den ganzen Menschen zu entsorgen und ihm keinerlei Zuwendung mehr zu geben.  

 

Ich erinnere mich: Sie sprach zwar davon, Wut in der Beziehung gefühlt zu haben, hat aber nie etwas von dieser Wut gezeigt. Im Zeitraum, als sie die Beziehung beendete, verspürte sie von mehreren Seiten einen erheblichen Druck: Arbeit; gesellschafts-politische Situation in der DDR (unerträgliche Machtausübung und Widerstand); dazu kam auch noch, in den letzten Monaten denunziert worden zu sein, der Nachbar, mit dem sie Tür an Tür wohnt, als Stasi-Zuarbeiter. Die Beziehung hatte sich, nach wundervollem Beginnen in ersten so langen Monaten, gewandelt zu einem Feld, in dem ganz unbeabsichtigt auch immer mehr hinzugekommen war. Nirgendwo hatte sie ihre wahren Emotionen zeigen können oder gezeigt: bei der Arbeit nicht, in dem denunziatorischen Feld der Wohnhaussituation nicht. Zum gegenwärtigen Leben in der DDR stand sie in einem Hassbezug. Ihre Ansichten waren zunehmend radikaler ausgefallen. In keinem dieser Felder konnte sie sich interaktiv abreagieren. Und in der Beziehung tat sie es, wie gesagt, nicht auf der Ebene von gezeigten Emotionen. So befand sie sich bei fundamentalen Bezügen in ziemlich ausschließlichen Ohnmachtssituationen. So arbeitete wohl das ›Dampfkesselprinzip‹. Das heißt, es sammelt sich so viel an, bis es zum eruptiven Ausbruch kommt. Und so geschah es. Es traf dann den, mit dem sie in Beziehung war. Traf den, der Gefühle ihr gegenüber aufgebaut hatte, geöffnet war und einen Resonanzraum bot. Die anderen Bereiche boten keinen Resonanzraum. Keine echte Offenheit. Und da auch das Feld der Beziehung schwierig geworden war, und sie eine große Freiheitsliebe hat und es dazu gewohnt ist, allein zurechtzukommen und mit sich allein etwas anfangen zu können, entschloss sie sich wohl, dieses Feld der Beziehung erst gar nicht wieder aufzunehmen. So wird es wohl gewesen sein.

 

Auch ich«, so Lichthof, »habe zuzugeben, dass mich dieses Wohnumfeld, diese kalte, verräterische, anschwärzende Wohnsphäre verunsichert hat. Es gab mindestens zwei Situationen, in denen es zu gewalttätigen Übergriffen des Nachbarn gekommen war, so eingefädelt, dass es schwerlich der ›Volkspolizei‹ gemeldet werden konnte. Das hatte übergegriffen auf mein Inneres und etwas getriggert, sodass ich manchmal in Erstarrung geraten war. Es ging so weit, vielleicht schwerverständlicherweise, dass es mich sogar in der Beziehung gelähmt hat. Die Situation in dem Wohnhaus war die: Schon, wenn ich auf die Haustür zuging, sah oder ahnte ich den Mann im Fenster, der darauf blicken konnte, eine Gestalt, bei der ich kaum umhinkonnte, ihr nur die allerschlechtesten Gedanken und Absichten zuzutrauen. Das macht doch etwas!

 

Wenn ich all das so sehe, und so sehe ich es zunächst einmal, lösen sich die Mordinstinkte ihr gegenüber auf.

 

Auch ist zu sagen, dass wir uns nur noch sporadisch, in größeren Zeitabständen gesehen hatten, also überhaupt keine tägliche Beziehung zusammen führten. Der Hauptgrund dafür, dass das so abgenommen hatte, war gewesen, dass sie von Berufs wegen keine Zeit hatte beziehungsweise oft erschöpft war, was dabei war, in chronische Erschöpfung überzugehen.

 

Wenn ich es recht besehe«, sagte Lichthof – es war schon spät, und es schien nun ein wenig sprunghaft zu werden –, »war ich geistig jederzeit authentisch und präzis, aber ging im Grunde auf alles ein, was sie wollte. Sie machte im Grunde das Programm, wenn auch in Absprache mit mir, sie äußerte klar, was sie wolle oder nicht, was ja richtig ist. Und ich? Ja, ich äußerte mich auch . . . Mir war es jedoch das Wichtigste, mit ihr zusammen zu sein. Dennoch hinterlässt das ein und andere nun ein schales Gefühl vor der Tatsache, dass sie mich innerhalb eines situativen Moments in den Wind schoss.

 

Und habe neuerlich die Lehre daraus zu ziehen: Endlich dazu zu stehen, in Kontakt und Beziehung, was ich wirklich möchte, oder mich gegebenenfalls zurückzuziehen.

 

Warum meldete sie sich nicht? Vermutlich war sie, bei allem Mut, zu feige in Erwartung von mutmaßlichen Reaktionen, die ihr zu anstrengend wären. Möglicherweise lässt sich daraus schließen, dass ich ihr das nicht wert bin. Jedenfalls: Einen Menschen so in die Jahres-Endtage zu entlassen, zeugt von einem kaum zu überbietenden Mangel an Wertschätzung.

 

Die freie Zeit, die Urlaubstage brachte sie also anders zu. Ob sie sie nun genießen konnte oder nicht. 

 

Während ich sie – auch –  'auszuhalten' hatte in den Bedrängnissen ihrer Berufszeit und sonstigen Schwierigkeiten, die anfielen. Und da waren einige.

 

Allerdings ist auch damit zu rechnen, dass sie sich bei dem, was sie tat, im Recht sieht, gemäß jener Monsterphrase: ›Das geht ja gar nicht.‹

 

Ja, ich habe damit nicht gut umgehen können«, so Lichthof: »Einerseits Bewusstheit, die sie kennzeichnet. Andererseits gelegentlich durchsetzt von sprachlichen Mechanismen, die nicht auf Bewusstheit hindeuten.

 

Also hätte ich damit zu rechnen gehabt, wenn sie sich noch einmal gemeldet hätte, zu hören, dass das ›gar nicht ging‹, mein Verhalten.

Was aber doch bedeutet hätte, dass meine Perspektive nicht eingenommen worden wäre.

Doch Schluss mit solchen Spekulationen. Es ist ihr viel Gutes zuzutrauen. Man stochert eben im Dunkeln, wenn nicht geredet wird.«