Leipzig im Jahr 1988, Ende Dezember, ein Besuch in der Wohnung von Prof. Lichthof. Ich kannte ihn ja schon lang, so kam er – in inneren Nöten – bald darauf zu sprechen.

»Wir hatten eine intensive Liebesbeziehung.«

Er schien keine weiteren Worte mehr zu haben bzw. sein Kopf übervoll zu sein.

Und hörte: »›Es ist das Ende.‹

Mehr hat sie nicht mehr gesagt.

Hier stellt sich natürlich die Frage, wie es dazu kam.

Und: Wie die jeweiligen Anteile sind.

Mein Gefühl war noch ganz warm und entfaltet, als sie das sagte, trotz der Defizite, die ich, und sicher auch sie, in letzten Monaten wahrgenommen hatten. Wir hatten zuvor einige Stunden im Bett gelegen. Der Tag war harmonisch verlaufen, was war also geschehen?

Ich war dann aufgestanden. Ziemlich in Trance, weil lang im Bett gewesen und eine Zeit eingeschlafen. Als ich mich wieder hinlegen wollte, zu ihr, fiel mein Blick auf die Spüle. Ich hatte am frühen Abend gekocht und der Topf war übergelaufen. Ich versuchte Krustenartiges vom Herd zu entfernen, aber es ging ganz schlecht. Das war gegen 22 Uhr 30. Da sah ich, dass es um die Pfanne und anderes ebenso bestellt war. Ich fing an zu säubern. Und fragte, ob das ginge. Denn es war hier, in dieser Einzimmerwohnung. Und hörte von ihr ein indifferentes Geräusch. An dieser Stelle hätte ich aufhören sollen zu reinigen. Ich kam aber auf eine meiner glorreichen Ideen, die mir im Leben selbst schon sehr geschadet haben. Ich stellte eine Musik an, und zwar eine Musik mit meditativen Elementen, damit sie das Klappergeräusch vom Spülen nicht so wahrnehme. Und sah, dass sie sich anzog. Ich sagte: ›Du willst aber jetzt nicht fahren?‹ Sie sagte nahezu nichts darauf. Ich sagte: ›Warum reden wir denn nicht zusammen?‹ Sie verließ einfach die Wohnung. Und ich machte etwas, was ich glaub ich noch nie machte. Ich lief ihr hinterher. Am Wagen sagte ich: ›Ich würde mich gerne noch ein paar Momente neben dich setzen.‹ Und hörte: ›Es ist das Ende.‹ 

 

Nun stellen sich wenigstens zwei Fragen:

Mit wem hatte ich es eigentlich zu tun?

Und:

Was also geschah zuvor, in den zurückliegenden Monaten, dass es zu einer solchen Reaktion kommen konnte?«

Lichthof eilte zum Kühlschrank und holte sich ein Glas Wasser.

»Das weiß natürlich, genau genommen, nur sie«, sagte er, »wenn überhaupt.«

 

»Ich habe mehrfach unabsichtlich ihre Nachtruhe gestört«, sagte er, »in den zurückliegenden 7 Wochen dreimal, zweimal davon in dieser Einzimmerwohnung.

Und vor allem gab es Folgendes: Sie war beruflich äußerst beschäftigt. Sie arbeitet als Krankenschwester. Das evozierte nach meiner Wahrnehmung den Hauptkonflikt. Bzw.: Ich konnte mich schlecht darauf einstellen. Sie brauchte sehr viel Ruhe, um die Tage bestreiten zu können. Die Nachtruhe war ihr äußerst wichtig und ja notwendig, was ich absolut einsah, keine Frage!

Natürlich wird ihr Verhalten weitere Gründe gehabt haben, was für mich nicht überschaubar ist und auch nicht überschaubar sein kann. Aber es war auch immer wieder nah und gut zwischen uns gewesen.«

Lichthof ließ den Kopf sinken, als würde nun nichts mehr aus ihm kommen.

 

Ich sagte zu ihm, als ich auf ihn sah, das reiche ja erstmal zum ersten Verständnis, er solle sich doch nicht anstrengen oder fortfahren, wie er eben wolle. So setzte er im Lauf des Abends immer mal wieder an, nicht gerade systematisch, so, wie es eben aus ihm rauskam.

 

»Dieser ›Auftritt‹, dieser Art des Schlussmachens kommt meines Erachtens einer Pseudolösung gleich«, sagte er schließlich. »Denn es wurden alle Schwierigkeiten damit ›gelöst‹ – indem sie nur abgebrochen wurden –, die tieferliegend in letzten Monaten da waren.

Welche?

 

Dass sie nach meiner Wahrnehmung keine Zeit hatte oder sich zu wenig Zeit dafür nahm, das Beziehungsgespräch wirklich zu führen.

Stattdessen stellte ich immer mehr fest, dass sie in unserer freien Zeit über den Kalten Krieg, die Verhältnisse in der DDR und den Westen monologisierte, und ja: In der DDR tut sich viel. Möglicherweise kommt es tatsächlich dahin, wenn das hier auch noch keiner glauben kann, dass der Staat einmal aufgelöst werden wird.

Wir waren in fast allen Punkten gleicher Ansicht.

Was mir zunehmend auffiel, dass sie jedes Mal fast das Gleiche sagte.

Warum merkte ich das nicht an?

Ich sah, dass sie gestresst war, und darüber hinaus sehr erregt über das Thema ›Diktatur‹, deren Auswirkungen wir tagtäglich zu spüren bekommen hatten. Auch in ihrem Berufsfeld hatte es nochmals einschränkende Veränderungen gegeben.

Aus Liebe zu ihr ließ ich sie gewähren. Auch wenn mir zunehmend klarer wurde, dass das eigentliche Beziehungsgespräch – meines Erachtens – schließlich ganz ausblieb.

 

Was ist ein (gutes) Beziehungsgespräch?

Nach meiner Auffassung: Wenn intim und leise darüber gesprochen wird, was in der Beziehung als bedrückend empfunden wird.

Wenn die Beziehung so weit wieder hergestellt werden kann, dass beide sich wirklich gut und verbunden fühlen.

    

Sie ließ mich zurück«, stürzte es aus Carl, Lichthof, hervor. »Sie beendete die Beziehung auf eine unwürdigste Weise mit der Implikation, dass ich Schuld habe.

Während vor allem jobbedingt ihre und meine Seele, die Seele der Beziehung, doch über Monate vernachlässigt worden war.

 

Natürlich ist mir klar«, setzte er fort, »dass das hier alles einseitig ist. Sie müsste dazu gehört werden.

 

Es wäre doch eigentlich die Zeit gewesen, es war kurz vor Weihnachten, die Beziehung zu erneuern. Und das stand auch im Raum.«