jene – wie zu lesen war, und es ist plausibel – existenziellste Installation von Beuys Zeige deine Wunde
Zur Rezeptionsgeschichte gehört die Verhöhnung von vielen Bürgern.
Für jemand, der normal empfindet, müsste bereits der Titel davon abhalten.
Nicht erst seit Christus ist das Phänomen bekannt: die Verhöhnung der Wunde.
Die sich immer neu realisiert.
Was hätte ich 1974 – im Erscheinungsjahr von Zeige deine Wunde – damit anfangen können?
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt, in dem Sinne, keine Wunde.
Was hätte ich also damit anfangen können?
Wohl nicht viel. Es wäre bei Ehrfurcht gegenüber dem Projekt geblieben.
Eine konstruktive Rezeption setzt also das Bewusstsein einer Wunde voraus, Mitgefühl
und Interesse, solche Zusammenhänge zu verstehen.
„Zeige deine Wunde, weil man die Krankheit offenbaren muss, die man heilen will. Der Raum […] spricht von der Krankheit der Gesellschaft […] Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden.“
(Joseph Beuys)
Das Reizwort dieser Äußerung ist „Krankheit der Gesellschaft“.
Auf die Zeit von Beuys bezogen, bezieht sich dies zunächst einmal auf den Zweiten Weltkrieg und die Folgezeit. Jenes höchst krank machende Phänomen, das – in dem Fall – von den Deutschen ausging, deren Manipuliertheit in der Summe als „krank“ zu bezeichnen nicht falsch wäre.
Einen echten Mehrwert hat die Formulierung aber dann, wenn verstanden und akzeptiert wird, dass viele Formen des „Krankwerdens“ soziale und strukturelle Ursachen haben, und es nicht reicht, beim Betroffenen nur anzusetzen, und der Raum der Heilung entgrenzt wird auf das jeweilige soziale Feld hin und in der Totalen – auf die „Gesellschaft“.
Woundet healer oder „verwundeter Heiler“ ist etwas, das von C.G. Jung aufgegriffen wurde. Es bricht mit der Vorstellung des „perfekten Arztes“. Es ermöglicht Einblicke in reale psychologische Zusammenhänge, nach denen es vielfach von Vorteil ist, wenn ein „Heiler“ oder jemand, von dem Heilung ausgeht, seine eigene Wunde erkannt und exzessiv bearbeitet hat. „... er tritt bei einer übergroßen Gefährdung als das positive, das gute Element auf“ (Beuys).
Einen Schritt weiter noch geht der Psychopompos, der mit „Zeige deine Wunde“ in Zusammenhang gebracht wurde.
„Das Wort Psychopompos (Plural Psychopompoi) oder eingedeutscht der Psychopomp kommt vom griechischen ψυχοπομπóς (männlich; altgriechische Aussprache in etwa psykhopompós) und bedeutet wörtlich übersetzt ‚Seelengeleiter‘: Er geleitet die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits.“
(wikipedia)
Warum zeigte Joseph Beuys in diesem Werk
oder parallel dazu
nicht etwas von seiner Wunde?