Wenn du einfach für dich dalagst, wie hast du dich in der Zeit ermessen?

 

Was ich empfinde, wenn ich jetzt deine Gedichte lese

 

*

 

Ingo – du hast diesen schwersten aller Gänge hinter dir, diesen DEFINITIVEN Schlag ins Aus.

 

So empfindsam und empfindlich, du.

 

Durchbruch zum Tod.

 

Diese Lebenserwartung.

 

Ich sehe auf deine letzte Gedichtsammlung, die du mir übersendetest. Sprachst mich mit Namen an auf dem Deckblatt, Unterschrift handschriftlich, schwungvoll. Erscheint so jenseits von Tod. Auch das, was die Sammlung enthält.

 

deine Schrift, Ingo, die übrig blieb. Wie viel mehr ist sie als das definitive Nichts, dein Tod. Ich lese, ich ermesse von da aus, wie bewegt du warst.

 

*

 

Du hattest einst vorsichtig angefragt, ob ich deinen Nachlass ordne und verwalte. Das war 1995.

 

Wie wäre vorzugehen, wenn die Zeit für sich selbst nicht reicht. Und – das war von vorneherein so, wie ich dir auch sagte – das Geschriebene nur punktuell oder in einem gewissen Sinn gefällt.

 

Es ist aber keine Frage: Eine Archäologie deiner Schriften wäre ergiebig, vielleicht hochergiebig.

Aber was rede ich da, von deinem Kosmos aus betrachtet, sich da ins Verstehen zu rücken, ist

jeder Fund wertvoll.

 

Nun liegt dein Werk in äußerlicher Ordnung in einem Zimmer der Wohnung deiner Frau, das eigens dafür zur Verfügung steht, es wird bewahrt.

(Aber wie lang?)

Damit lässt sich leben, ließe sich denken. Aber ich kann nicht besonders damit leben. Weil ich weiß, dass dieses Werk dein Dienst an der Menschheit und dein ‚Gottesdienst‘ war. Einer inneren Ordnung und der Interpretationen (der Anhaltspunkte) bedarf.

Ich weiß und ahne auch, was dir widerfuhr, und weiß, dass in jeder Pore unsichtbares Blut läuft.

Un-Gerechtigkeit.

 

Ich fühle Schuld. Und weiß, dass du das nicht wolltest. Wirklich nicht. Ich halte sie aber für berechtigt.

Ich muss Schuld auch nicht gleich wegmachen. Es gibt Situationen, in denen sie ihr Recht hat. Und manchmal bleibendes Recht.

 

So trägt dieser Text in der Überschrift deinen Namen. In voller Würdigung, ohne Ablenkung. Ohne Themenverknüpfung. Mich und jeden zurücknehmend.

 

Ganz zu gewähren, was du – bei allen Themen, um die es in sich geht – gewollt hast: gemocht, ja geliebt zu werden.

 

So schließe ich mit einem Gedicht aus deinem Nachlass.

 

 

wunderbar!                         17. und 19. september 2012

 

(dem wesen friedrich hölderlins

zugeeignet)

 

die welt schweigt,

wenn die kämpfe

mich gerettet haben.

  

ich denke, liebe und bete,

wie im traum – 

bin ganz die heilige einheit.

 

alles tun und lassen 

gelingt mir mühelos. 

ätherisch empfange und finde ich

 

das eigentliche wort, 

die wesentliche liebe, 

das angenommene gebet.

 

Ingo Huth

8.10.1958 - 30.4.2015