1. Tag Isolation

 

 

Vom totalen Staat existieren zwei Versionen. Die erste überantwortet seine Kernkompetenzen einer Partei, die zweite liefert sie an eine externe Behörde aus.

Der totale Staat, heißt das, ist nicht der starke. Er ist der Büttel der Starken. Sein mangelnder Respekt vor der Privatsphäre der Bürger zeigt an, wie tief er in dieser Beziehung gesunken ist.

(Ulrich Schödlbauer)

 

 

»14 Tage bei überwiegend heller und wärmender Märzluft in der Wohnung zu bleiben, was das für ein Leid zufügt, kann demjenigen, der es beschloss, nicht bewusst sein. Und wäre es ihm bewusst, wäre er ein Verbrecher. Daran ändert eine Legitimation nichts.

 

Die Stadt könnte für Menschen in Isolation von einem halben Monat Hilfskräfte bereitstellen.

Denn allmählich bräuchte ich Hilfe.

Es gibt Zivildienstleistende, Menschen, die ein Soziales Jahr machen, Hilfskräfte, die den Betreffenden einmal am Tag unter Einhaltung des Abstands nach draußen begleiten könnten.

Damit seine Beine bewegt werden und etwas Luft in Freiheit geatmet wird.

Medizinisch höchst sinnvoll.

 

Überdies

 

braucht ein Mensch auch schon mal die Fußgängerzone beziehungsweise mit Menschenkontakten aufgeladene Menschen.

 

Der Körper platzt quasi. Er ›muss raus‹. Um nicht verrückt zu werden. Das hat nichts mit einer Entscheidung zu tun. Der Körper bahnt sich gleich einem Fruchtknoten Raum, wenn die Zeit reif ist. Alles andere – widernatürlich.«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

 

Carl schrieb: »Der Staub ist so eine Gegebenheit des Universums. Wieder ist er zu entfernen, wenn es so angenehm sein soll wie vor zwei Wochen.

 

Wie gründlich ich bin, wenn ich einmal dran bin.

 

Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich es GANZ für mich mache? Ohne den geringsten Besuch zu erwarten.

 

Vom Fenster aus sehe ich Menschen auf dem Markt, sie wirken nun nahezu unwirklich, abseits jeder Teilnahme.

 

Und doch erscheint mir das ›besser‹ als Beziehungsstress, der in diesen Formen reines Gift war.

 

Ich werde zu sehr in der Beziehung provoziert, ganz einseitigerweise einmal gesagt.

 

Es geht besser ohne dieses Nervengift.

 

Jedes innere Anknüpfen noch ein Aufreger.

 

Möchte das endlich, endlich nicht mehr, dass ein schlechter Resonanzraum aus der Beziehung sich vor die eigene Wahrnehmung schiebt.

 

Doch diese Momente in der Beziehung. Körperkontakt als Einheit. Durch nichts zu ersetzen, ein Stern für sich.

 

Es ist sicherlich sinnvoll, rechtzeitig aufzustehen, wenn man sich ausgeschlafen fühlt. Um nicht über Wohlgefühl oder Alptraumhaftes in das nächste Feld der Müdigkeit zu gleiten.

 

Friede ist . . . der Friede des Nervensystems.

 

Morgenlichtüberflutetes Zimmer

 

Selbstsinngebung, deswegen geht es, nur deswegen.

 

Es macht etwas im Gedächtnis, wenn jeder Außenwelteindruck unter Verbot gestellt wurde.

 

Das Auge stumpf vom Alleinsein.«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

 

»Isolation: man versinkt früher oder später im Brei.

Das ist das, was in solcher Situation aus einem gemacht wird.

 

Die Corona-Maßnahmen-Wirklichkeit erzeugt so viel anderes auch nicht.

 

Affinitäten, Unterschiede zum Gefangenenlager liegen auf der Hand.

Unterschiede:

Missbrauch des Menschen als bloße Arbeitskraft. Wenn dieser Unterschied auch manchmal klein ist.

Ggf. Tötung.

Affinitäten:

Kontrolle über den Körper.

Kennzeichen der Beziehung: Bedrohung, Macht, Bestrafung.

 

Wie weit wird sie gehen, die Corona-Politik, im Namen der Gesundheit?

 

Bleiben wir bei der Quarantäne. Bleiben wir bei einem Entschluss, der – dem Plan nach – über ein ganzes Leben verfügt.

 

Ein ganzes Leben. Ich assoziiere. Wenn ich mir das vor Augen halte: Die Vorschreibungen in der Schule. Die Vorschreibungen in der Ausbildung. Die Masse an Wissen, die vor allem Zeit stahl. Die Vorschreibungen im Arbeitsleben. Es nahm zu viel, um da noch entgegenkommend diskutieren zu wollen. Ich kann nur sagen, lasst die Finger von meinem Leben! Und Einzelne rüsten sich an dieser Stelle mit einer Bombe – dieser Irrsinn! –, aber so kommt das.

 

Ich hingegen besinne mich auf eine andere Macht: auf meine Schlussfolgerungen.

 

Die Welt Kafkas in einer weiteren Vollendungsstufe. Gesichtslosigkeit. Der geklonte Mensch. Richtiger: Der manipulierte. Der Mitläufer. Soll ich euch mal sagen, was ihr seid? Soll ich dir – Frau im Ordnungsamt – mal sagen, was du bist?«

 

 

 

  1. Tag Isolation, Karfreitag

 

 

Carl schrieb: »In den Nachrichten: Ab Dienstag Ausgangssperre in Niedersachsen. Wer nach 21 Uhr auf der Straße gesehen wird und nicht von seinem Partner kommt = 100 €.

 

Da werden vereinzelt Menschen draußen sein, ob sie von ihrem Partner kommen oder nicht, geschweige die, die keinen haben. Bang, wenn ein Wagen heranfährt. Bang, wenn da ein Knistern in der Handyleitung, denn sie könnte abgehört werden. Die DDR war noch etwas ganz anderes. Aber die ›Effekte‹ nähern sich. Worauf läuft das hier hinaus, auf die Abschaffung der Bundesrepublik? Es gibt auch subtile Formen von Diktatur, bzw. Fernwirkungen, die zu erkennen die Intelligenz – oder was auch immer – von vielen offenbar nicht in der Lage ist. Sie neigen eher zum Jubeln, über die Vorteile ihres privaten Lebens, wozu offenbar gehört, dass Borussia Dortmund wieder in der Champions League gewonnen hat und der Arsch des Vorgesetzten möglichst kritiklos erschlossen wird. Und dann bekommen sie Prostatakrebs und die eigentliche Rechnung präsentiert: ihr nicht gelebtes Leben. Aber die meisten werden es auch dann noch schaffen, sich zu *bescheißen*.

 

Von diesem ›Turm‹ des 6. Stocks aus zu sehen. Welchem Gesicht traue ich eigentlich nicht zu – das ist jetzt das Spiel –, Verräter, Verräterin zu sein?«

 

*

 

»Goldene Ruhe am Nachmittag. Aus der ich nicht raus möchte.

 

Kein Beziehungs-Treffen.

Wahrung meines sensiblen Raums.

 

Selbst wenn der zweite Test negativ ausfalle, dürfe ich, trotz Wissens darum, die Wohnung erst verlassen, wenn ich ein Schreiben von der Behörde erhalten habe, in dem dies darin stehe. Obgleich ich seit 2 Wochen, nach dem kurzen Kontakt – kein Körperkontakt – mit der infizierten Person, keine Symptome habe.

 

Bedeutet: Oster-Sonntag nicht in Freiheit zu sein. Obgleich die Quarantäne-Zeit – vom Beginn des Kontakts mit der angesteckten Person – dann abgelaufen ist. Sondern frühestens Mittwoch. Bis sich das Schreiben einer hoffentlich gut Ostern gefeiert habenden Gesundheitsamts-Angestellten in meinen Briefkasten bequemt.

 

Für das Kind in mir, stelle ich fest, bricht nochmals eine Welt zusammen.«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

 

Carl schrieb: »Nur 1 Zimmer als Wohnung.

Das müsste eigentlich berücksichtigt werden.

Allein lebend.

Das ist ein Unterschied zu einer Wohnung mit mehreren Zimmern und mehreren Ausblicken.

Ein Unterschied dazu, mit einer Person zu leben, mit der man kommunizieren kann. 

 

Auch kein Arzt, der den Prozess begleitet.

Denn ich bin ja nicht infiziert.«

 

 

 

  1. Tag Isolation, Oster-Sonntag

 

 

»Sicher würden sich Menschen finden, die noch oder gerade an diesem Tag die Tür überwachen, um einen geschwächten Menschen abzufangen, der nun 'aus seinem Bau kriecht'. Um ihn noch jetzt zu verurteilen und abzustrafen.

 

Es ist tatsächlich die gleiche Mentalität, von der ich in Kindheit und Jugend immer mal wieder Zeuge zu sein hatte.« 

 

 

 

  1. Tag Isolation, Oster-Montag

 

 

»Des Kaisers neue Kleider. Zu viele hüllen sich davor. Worin?

 

in Schweigen. Es fehlt an Urteilskraft, an Mut, an Aufbegehren, das laut würde.  

 

Für wie viele Situationen gilt das eigentlich: sie klar konturiert zu erkennen, sie zu beenden, anstatt Jahre halbgar darunter zu leiden.«  

 

 

 

  1. Tag

 

 

»Ich erhalte das Schreiben, in dem mitgeteilt wird, dass die Quarantäne ›schon heute‹ aufgeboben werden kann, da auch das zweite Testergebnis negativ sei.

 

Das ›schon heute‹ kommt als frohe Botschaft daher.  

Die alles Gewesene unter den Tisch fallen lässt.«

 

Carl schrieb: »Das kenn ich auch aus dem Kontext Erwerbslosigkeit. Man soll in Jubel ausbrechen, frohlocken, wenn eine völlig unpassende und jämmerlich unterbezahlte Stelle angeboten wird. Frauen überbringen eine solche frohe Botschaft im Übrigen besonders gut.

 

So ein Schreiben lässt sich leicht und gekräftigt aufsetzen, wenn man selbst gute und lange Ostertage mit seinen Lieben hatte.   

 

Fazit: Was mir am ersten Tag schon klar war: Das Gesundheitsamt wird meiner Initiative nach nie mehr ein Partner für mich sein. Und andere Organisationen auch nicht.

 

Erstes Zusammensein mit einem Menschen. Nach etwa zwei Stunden die erste Entspannung und Erleichterung. Lässt fühlbar werden: Was die Isolation für eine Knechterei war. Unter solcher Verfügungsgewalt.«