In Quarantäne.

Ein Stück in 14 Isolations-Tagen.

 

Die Situation: Carl, 25 Jahre alt, wird als »Kontaktperson« 14 Tage Quarantäne verordnet.

 

Anlass: Corona.

 

Ort: Eine Wohnung in Düsseldorf. Sechster Stock, turmartig.

 

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

»Ich erlaubte mir den Spaß«, schrieb Carl, »die Frau vom Gesundheitsamt am Telefon zweimal zu fragen, wie ich denn damit zurechtkommen solle, mit 14 Tagen Isolation. Sie antwortete zweimal mit einem Gesetz. Automatisiert, ohne weitere Regung. So modern sind die Zeiten.«

 

»Keinerlei Symptome. Nur noch etwas Luft am Fenster.«  

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

»Der gesundheitsamtliche Text:

 

›Für jede Zuwiderhandlung gegen meine Anordnung in Ziffer 1 drohe ich Ihnen ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € an.‹«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

Carl schrieb: »1.000 € sind leider für mich viel. Was auch die 2-Klassen-Gesellschaft bezeichnet. Wer genug auf dem Konto hat, setzt sich ggf. lächelnd darüber hinweg.

 

Der amtliche Brief wurde gebracht. Eine Frau kam in den 6. Stock hoch und warf ihn mir sanft vor die Füße. Sicher, sie hatte Angst sich anzustecken. Warum aber hatte sie den Brief nicht eingeworfen? Bzw.: Warum wurde er nicht auf dem Postweg zugestellt? Also die erste Kontrolle.«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

Carl schrieb: »Was passiert hier eigentlich, indem ich das Gesundheitsamt als Schutz-Partner habe?

 

Auf den Punkt gebracht:

›Zwangsgeld von 1000 Euro‹ – das ist die Art der Beziehung, die hergestellt wurde.

 

›. . . drohe ich Ihnen ein Zwangsgeld an in Höhe von . . .‹

Was soll das Pronomen?

Ah, ›Rechtsprechung‹ wurde auf die Kommunen übertragen.

Ich kenne das: Ein übergeordnetes Gericht würde sich nur dann mit dem Fall befassen, wenn die Allgemeinheit zu Schaden kommt.

 

Welches Menschenbild steht dahinter?

Dem Menschen keine Bewegung zu gewähren. In diesem Märzsommer.

Dem Menschen nichts zuzutrauen.

Mit ihm nicht zu reden, keine Absprachen zu treffen. Eine solche Entscheidung zu treffen. Sich dann abzuwenden.

 

Der große Vorzug, nur für sich zu sein.

In seinem Saft, in seiner Sphäre.

In einem psychisch geschützten Radius.

 

Für den Test morgen darf ich die Wohnung verlassen, warum?

Um Kosten und Aufwand an mir zu sparen.

Es geht dabei – auch – um eine Anfahrt von 20 Kilometern.

 

Und wer sagt mir, dass überhaupt korrekt getestet wird?

Vielleicht gehöre ich ja schon zu der Zahl, die den Lockdown rechtfertigen sollen.

 

Solche Gedanken entstehen, wenn kein Vertrauen da ist. Wurde welches aufgebaut?«

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

»Ich bin ein *Läufertyp*, ich muss jeden Tag raus.

 

Plötzlich mit Verfolgern im Innern befasst, wie einst, bei der Vorstellung, ich würde rausgehen.

 

Nicht nur in Quarantäne, auch Liebeskummer.

 

Andererseits: Mein Nervensystem erholt sich von dem 'Beziehungsstress'.

 

Bald Ostern und der Wunsch, dann etwas rauszugehen. Angestellte im Gesundheitsamt, die verhaftet sind: der absoluten Verständnislosigkeit einer Vorschrift.«

 

Nur die Bürokratie zum Beispiel hat die Macht, dich deiner Sprache zu entfremden, indem sie dir vorschreibt, welche Wörter du, sobald du in ihren Dunstkreis eintauchst, zu verwenden hast und welche nicht.

[…]

Von da an setzt sich die Bürokratie an die Stelle der Person und beginnt das Selbstverständliche zu regeln, vom Fiebermessen über das Zähneputzen bis zum täglich verfügbaren Quantum Luft. Wer da »Mehr Licht!« schreit, ist schon der Staatsfeind. Du bist vergrippt und willst dich in deinem Bett verkriechen? Von wegen. Teste dich frei! Was, du willst dich nicht testen lassen? Staatsfeind! Kommunikationsverbot nicht unter drei Jahren. Und der Auslandsurlaub ist gestrichen. Aus dieser Nummer kommst du nicht raus. Du lachst? Lach nur. Noch ein paar Jährchen…

(Ulrich Schödlbauer)

 

 

 

  1. Tag Isolation

 

»Stand morgens um 3 auf. 

 

Reinigte einige Sachen, Wertschätzung und Ordnung.

 

So zart, dass nun alles zu grob vorkommt.

 

Nahm in der Morgendämmerung vom Fenster aus mikroskopisch die Um-Gebung in Augenschein.

 

Mit dem Rucksack einfach durch die Haustür? Wer bin ich eigentlich? Was ist draußen eigentlich? 

 

Zeit haben und sie nutzen. Jenseits aller kultureller und religiöser Riten. Niemandem und nichts mehr glauben.

 

Ich kann mich läutern wie ich will. Zu mir kommen wie ich kann. Aber ginge ich nach draußen, wären da Bewacher, wäre menschliches Verhalten wie ein elektronischer Mechanismus, der eine Rechnung präsentiert.

 

Verhängt von einer Frau im Ordnungsamt, die sich womöglich erfolgreich einredet, der Allgemeinheit gedient zu haben.

 

Auch geistige Kraft wird beeinträchtigt, wenn nicht mehr rausgegangen wird.

 

Zugleich: Isolation fördert Bewusstheit.

 

Der Schreck nun Dauerbestandteil.

 

Wenn die Wohnung nicht mehr verlassen werden darf, Körper und Geist keinen erweiterten Raum für Ausdehnung mehr erhalten, verwandelt sich der Mensch in einen Geist.«