1

 

ich sitze hier einmal mehr am Schreibtisch in der Nacht und würde gern in einer Weise innehalten, wie es nicht geht. Du schreibst nicht mehr. Jedenfalls drei Wochen nicht. Ich stelle mir vor, dass meine Texte zuletzt „zu“ Fragwürdiges aufwarfen. Das kann man erst ganz herausfinden, wenn man sie abschickt. Das Fragwürdige in mir selbst. Ich würde mir wünschen (Konjunktiv), dass du es formulieren kannst. Andererseits denke ich an meine Selbstquälereien. Kafka grüßt. Wie oft habe ich in meinem Leben gehört, dass das allein in meinem Horizont liege, das alles nichts mit mir zu tun habe, beruhigend war das nicht. Diese Wechsel sind schwer zu ertragen, aber immerhin gibt es sie; diese Wechsel zwischen Tanz – „Zwischenreichrealität“ – und solcher Einsamkeit. [...] So könnte ich die ganze Nacht, ein ganzes Leben weiterschreiben. Irgendwie verzweifelt ohne Verzweiflung. Wie geht es dir?

 

2

 

So viele Anfänge.

Ich erinnere A. Was für wundervolle Momente das waren. Es ist wohl das: Sich in Armen geborgen fühlen. Selbst diese Geborgenheit sein. Was sich in ihr alles ereignete. Unsere Hände verstanden sich so sehr. Als würden sie zu Seide .. Nights in white satin – dieser Song aus der Jugend. Als unsere Hände so füreinander wurden, meinte ich das Gefühl des Jugendlichen, der ich war, noch einmal zu erinnern. Auch unsere Blicke verstanden sich manchmal so, als wollten sie Hochzeit halten. Vielleicht ist es nicht die Frage, ob das übertrieben. Es ist gar keine Frage, sondern das geäußerte Leben eines Gefühls.

Ich erinnere B. Dies dauerhafte Zusammensein einer Gruppe. Das Sich-immer-wieder-Begegnen. Mit dir war es solche Freude. Sodass wir voreinander stehn blieben und uns von selbst in den Arm nahmen. Uns Küsse gaben, an den Hals, ins Gesicht, als hörte es nicht mehr auf .. Das alles tief gespeichert. Ich hatte ein solches Bedürfnis nach erweitertem Kennenlernen. Und fürchtete mich – auch – zu Recht davor. Vielleicht war es bei dir ähnlich. Es ist so ein Schritt, von einer solchen Gruppe ins Zu-Zweit. Als sei das ein Entweder-Oder. Warum nicht ein wenig Zu-Zweit. Und dann wieder voneinander frei und vielfältig in der Gruppe –

Ich erinnere M, zu der ich von ‚liebesartigen Gefühlen‘ schrieb. Offen gestanden, ich hatte ein wenig Interesse erhofft, an m/einem Horizont; ich dachte, da seien Schnittpunkte. – Seither hat es keine Umarmung mehr gegeben. Wenige einzelne bewegende Momente – zunächst – schon. Warum nicht Kostbares, das entstand, frei einbeziehen? dachte ich, als es noch möglich schien. Stattdessen erlebte ich, als hätte ich’s nicht gewusst, wie verzichtbar ich bin, nämlich ganz; so, wie es geschah, ging es bis zur Herzverschließung.

 

3

 

Es ist gut, dass ich in dieser Zelle jetzt existiere. In dieser kleinen Zelle in mir selbst. Eine Kollegin von Partnerin schrieb aus Thailand, Straßenfest, und alles aus diesen Zeilen rief entgegen: seht, wie toll ich bin, wo ich überall bin, woran ich überall teilnehme, ich. Ich wollte nicht irgendwo in Thailand oder sonst wo stehen und, ja was, sehen .. Ich möchte auf Weiteres in dieser Zelle in mir selbst existieren, wozu diese Wohnung gehört. Wozu gehört, dass ich täglich absehbare Wege gehe. Wege, die ich vertiefend begehe, wovon ich Eindrücke mitbringe. Ich möchte jeden Tag ins selbe Café mit diesen Bedienungen, die mich durch ihre Anwesenheit erfreuen. Einmal in der Stadtbibliothek etwas umhergehen und in einer Kunstzeitschrift lesen. Dies und das noch, etwas einkaufen, manchmal schwimmen gehen, und wieder in meiner ‚Wohnzelle‘ sein. In meiner inneren Zelle, die ein Kosmos ist. In der ich mit allen und allem, das auftaucht, mindestens wohlwollend umgehe, wie ich es zugleich „entlassen“ habe. Es war richtig, Menschen zu entwerten, ohne ihnen ihren Wert zu nehmen. So bin ich ein Einsamer. Grundlegend und oft. Und brauche offenbar diesen Raum, somit ist es keine Klage. Oder nur die, dass jede Existenzform „Nebenerscheinungen“ hat.

 

In dieser „Zelle“ gehe ich immer tiefer mit allem. Lebe und leuchte Dasein, ja Leben aus.

 

Es trägt auch bei für das, was draußen – außerhalb der Wohnung – „auf mich wartet“. Sich da in mir und andern bildet.

  

Ja, es kam der „Punkt“ – nach endloser Durchforstung, Durchspülung aller Nuancen – des allumfassenden „Ja’s“.

 

Sei in dieser Nacht aus Übermaß

Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,

ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

  

Und wenn dich das Irdische vergaß,

zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

 

(Rilke)

 

4

  

Ich setze also an bei einem bejahten Leben, das hinter mir liegt. Was so einfach klingt, war ..

 

Was alles in allen Universen je und künftig entstand und zerfiel, als läge es hinter mir.

 

Was im Menschen diesbezüglich erschien ..

 

5

  

Im Laden etwas an der neuen Kamera erklärt erhalten. Plötzlich diese unbändige Panik – aus einer so genannten Ausbildung herrührend, vorher nie gekannt –, mit der jede Konzentration weggeht und mit der ich nichts mehr verstehe.

Ohnehin im gegenseitigen Verstehen – im Konflikt – nervlich, gehirnphysiologisch bedingt eher eng konditioniert. Scheu. Sodass einst schnell die menschliche Bindung wegging; erinnere einst im Gegenzug, zuweilen mit mehr Spielraum, abwertend behandelt worden zu sein.

Bedrohung holte sich – immer schon? – mit derartiger Geschwindigkeit in mich hinein, tief in den Genen, tief in der Historie; ist sie einmal im Raum, imaginiert es, antizipiert es in mir hinzu, so, dass es den „Rest gibt“.

Es erzeugt unfreiwillige Blickgeschwindigkeit, extreme innere Unruhe, Nach-außen-Stülpung eines rasch sich umdrehenden Inneren, Schweiß-Bildungen, ggf. vorzeitige Erschöpfung, bestürzende Spielraumlosigkeit, Begegnungsaufenthaltslosigkeit.

Kategorial gesteigert wird dies durch Grundverletzungen, zugefügt in der Adoleszenz. So lassen sich wenigstens zwei aufgepfropfte Dispositionen konstatieren, in die sich Mitmenschen und zuerst ich selbst verfangen können.

1 Latenz des Ridikülen.

2 Latenz des kalten Abschlags einer ganzen Person.

Beides, was immer sich jetzt darunter vorgestellt wird, sind Mechanismen der Wunde. Es kann jederzeit ausgelöst werden und wird ausgelöst, so, dass der Aufenthalt in einer Begegnung zusätzlich beeinträchtigt und minimiert wird.

Auslösen kann jeder Laut, jeder „tote Winkel“, jedes Ungewisse –

 

Denn diese Nacht, in der so vieles schrie,

in der sich Tiere rufen und zerreißen,

ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie:

was draußen langsam anhebt, Tag geheißen,

ist das uns denn verständlicher als sie?

  

(Rilke)

 

6

  

Zu schaffen zeitlebens machte die Abwesenheit der schönen Frauen. Wo sind sie? Entweder im Radius von Reichtum oder/und bei jenen Männern, von denen sie sich lustvoll zurichten lassen. Sexuell. Männer, vor denen sie winseln, flehen, dass sie nicht aufhören mögen, sie zu nehmen. Ihnen mit allen Mitteln, mit allen, den rohen freien feinen Fluss zu bescheren. Um sich wieder im Radius des Reichtums zu sonnen und gegebenenfalls Kinder aufzuziehen. Sicher, wie alles, ist dies bei Weitem zu einfach gesagt. Die andere Kategorie Männer nimmt nicht, sondern betet diese Frauen mehr oder weniger an. Bestenfalls werden Spielchen mit ihnen getrieben; in der Regel wird so getan, vonseiten der Frauen, als seien diese Männer gar nicht vorhanden. Denn die schönen Frauen haben zu tun und genug. Im Radius des Reichtums; mit den Männern, die sie nehmen.

 

7

 

Als du die Unbekannte im Wasser sanft berührtest, entschuldigtest du dich – so sitzt das drin, seit Kindheit. Keine Berührungen zu einem Mädchen in natürlicher Weise, wie zu einer Schwester, zutiefst Respekt einerzogen. Das hat ja nichts zu tun damit, was ein Mädchen will, wie ein Mädchen ist, das etwa groß- und vollmäulig zu ihrer Freundin redet.

Scheu, Schüchternheit, kaum Körperkontakt zu Mädchen in der Kindheit. Was sich daraus ergab, reizte – auch – die Täter. Verknüpft mit einem zutiefst vermittelten Respekt gegenüber allem Fremden.

So wurde es scheinbar ohne Übergänge etwa so:

 

Du bist der raunende Verrußte,

auf allen Öfen schläfst du breit 

 

(Rilke)

 

8

 

In letzter Zeit wurde mir manche Wahrnehmung gänzlich unselbstverständlich. So saß ich in einem Lokal in einer Durchlaufpassage und staunte darüber, dass es auf Erden „Cola“ gibt. Auch Pommes frites, dachte ich; tausende Jahre gab es das nicht. Verurteilt zur erotischen Wahrnehmungsbildung, entstand ein solches Erbarmen. Ohne „göttliche Herkunft“. Wer den langen, ganz sorgfältigen, geistesgeschichtlichen Durchgang machte, weiß, dass die „Geistesgrößen“ dem nichts wesentlich hinzuzufügen haben. Ich, wie jeder, habe tatsächlich bloß zu schlafen, zu denken, mir erotische Gefühle zu machen und zu sterben. Und die Frage jenes „Hilfsarbeiters“, die etwas blöde herauskam, „Was soll ich denn sonst tun?“, enthielt bereits all dies, ohne dass er sich selbst erkannte.

 

Wie freundlich sein Lächeln, auf dem Foto, der 15-jährige Carl, der sich drei Jahre später töten sollte. An jenem Tag, der als „Frühlingsanfang“ gilt (festgelegt wurde).

Aber wie sehr ist „freundlich“ eine Glättung. Dennoch: Wie viele gute Substanzen in diesem Lächeln. Was sich dahinter befand.

 

Carl, was gäbe es zu sagen?

Du sagtest nichts zu allem.

 

Verwundert festzustellen – wie viele Jahre ist es bereits her –, noch da zu sein. Ich bin nicht der Erste, der festzustellen hatte, was wurde aus geheimnisdurchwobener Kindheit und Jugend. Wie simpel, Komplexität vorausgesetzt, die Dinge nun „vor mir liegen“. Habe ich ihr wahres Wesen erkannt oder ging etwas verloren? Wohl beides. Und erinnere Zustände als Jugendlicher, die waren von anderer Dunkelheit, Fülle, anderem Licht. Als sei ich ein verblasst Übriggebliebener? So weit würde ich nicht gehen. Das kommt womöglich noch. Ich bin wohl vor allem, wie jeder, verwandelt.

 

Keine Tragik ist mehr so groß, als dass sie mich wirklich berührte. Stimmt das? Vermutlich nicht. Ich ging hindurch. Und das blieb davon übrig.

Nachdem ich ganz hindurchgegangen war, ging es zurück. Es geht Richtung Vergessen. Wenn auch mit Aktualisierungen, als könnten sie einen Menschen aus seinen ‚Fundamenten‘ katapultieren. Es sind Nachbeben.

Viel verschüttet, ja. Auf einem Schiff, erinnere ich gerade, war einmal eine solche Aufbruchsstimmung. Als würde der Kosmos durch ein neues Element angereichert. Magische Momente. Nein, anders, aber welche? Momente der totalen Überschreitung. Unbeschreiblich halt.

Auch mit dir. Es bildete sich zurück, als sei nichts gewesen. Und doch geht so ein heller Zug jetzt durch meinen Kopf. Viel scheint das nicht, aber ein Kern, in dem die Zeit aufgehoben. Hilfsbegriff; Metapher des Kerns. Nicht mal einen Kern gibt es. Als habe es damals an innerem, definitivem Gewicht gefehlt. Das ist fraglich und stimmt vielleicht nicht?

Solche Jahre – eigentlich immer schon – darauf bedacht gewesen, heilvoll zu sein. „Irgendetwas“ stimmt daran nicht. Oder warum fiel so viel ‚Heilloses‘ ein –

 

Mihri – heißt eine der neuen Bedienungen, die ich nun fast täglich sehe. Sie steht vor mir und es wirkt alles wie zum Anfassen .. Warum geht man nicht mal eine Weile am Fluss. Die Schichten dieser Frauen; keine Frage, ausgebeutet. Wie viel Kontakt haben sie an einem Tag. Es wunderte mich schon früh, wie viel Kontakt eine Frau braucht. Eingeht. Oder wie ist es.

Mihri – das klingt, als sei es ein Stück von mir selbst. Als habe ich zärtlichen Umgang damit. Gehe ich deswegen in dieses Café? Auch das wird mitverkauft. Aber darauf kommt es nicht an.

 

„Nicht unglücklich“, wie so geredet wird, bin ich morgens am PC mit einigen Tassen Tee. Ich bevorzuge Flugtee Bio Nepal Himshikar. Im morgennüchternsten Zustand in das große Glas mit diesen Teespitzen hinein riechen.

Heute Abend dies Tanzen. Ich lasse mich noch immer darauf ein wie auf einen letzten Abend. Woran nichts auszusetzen ist. Ich habe wirklich Gründe, bang zu sein. Ich lasse sie alle gelten und gehe hin. Schaue, was es diesmal macht. Regelmäßiges Hingehen wurde von mir gesetzt. Sonst wäre zu befürchten, dass ich nicht mehr gehe. Es wird der Traum geweckt, wie es ist, mit einem Menschen in wohltuender Berührung zu sein. Und ja, es ist das Leben ..

Carl, das hättest du versuchen können, ganz behutsam. Anstelle dessen Abiturstress. Kurz vor dem Abitur tötetest du – dich. Räumtest am Vortag, bevor du in den Wald gingst, sorgfältigst dein Zimmer auf. Das wurde dann zu einem unumstößlichen Bild.

 

Alles bildet sich zurück, als sei es nicht gewesen. Voll tiefer, unsichtbarer Spuren. Bis auch diese sich – verlaufen haben. Die guten Geister sagen, hin zu Gott.

 

9

 

Es gilt am alleruntersten Punkt in sich auszuharren, aktiv zu warten, ob der magische Umschlag erfolgt – ins Glück ?

  

Alles, was einem Menschen passiert, alles, hat – auch – freie Räume, freie Zellen. Ich konnte mich noch so versteigen, ggf. nicht ablassen, zugleich war davon Freies. Oder freie Anteile in diesen Zellen, im inneren Raum.

Aber wie sieht es aus etwa bei einer Vergasung, die dann zum Tode führt. Wenn jede noch freie Zelle in einem Menschen genommen. Oder wo befindet sich, in solcher Todesnot, zuletzt das Frei-Sein. Carl, „in dem Sinne“ nahmst du dir selbst jede Freiheit. Doch bleibt die Frage: Wer war dieses Selbst, woraus bestand es, oder kam es darauf nicht an, und was oder wer attackierte es? Es bleibt nur diese Frage.

 

Das, was man tut, um sich auf das vor sich Liegende einzustellen. Was ich auch tue, und ich brauche nicht zu sagen, „alles“, mein Hirn – das Ausmaß der Bedrohung – findet die Lücke, die jedes Eingestelltsein auf eine miserabelste Weise zersetzt.

  

Als ich Ummagumma von Pink Floyd, diese Musik ausmachte, es war ein wenig, aber eigentlich nicht laut am offenen Fenster, und darauf Stimmen und Bewegungen draußen vernahm, wusste ich wieder, dass die Atmosphäre in weiten Teilen noch immer eine biedere, zutiefst verschlossene ist.

 

10

  

Spazieren am Fluss zur inneren Stadt. Als ich aus der Wohnung trat, dachte ich und vollzog es gleich, für wen eigentlich noch meinen jeweiligen Zustand manipulieren, förderlich soll das sein für was? Ich lasse es fortan ganz. Ich spreche für niemanden ein inneres Wort mehr. Dann „sehe ich“ gegebenenfalls das wahre Potenzial des Mögens.

  

Filterfunktionen wurden bei mir ersetzt durch totale Offenheit allem gegenüber, was erscheint. Auch deswegen kann etwa „rationalisierte Schnellschwätzerei“ – noch schlimmer der Ton – so umfassend-eindringende Wirkung haben. Auf jeden Beitrag kommt es an. Was mir selbst passieren kann, sind temporäre Raumverengungen. Wäre jeder so verständig, wie leicht ließe sich auch darüber verständigen.

  

Als seien es nicht meine Hände, sondern die des Täters, die etwas auspackten.

 

Die Wirbel in und aus meinem Kopfe. Auch hier: Suche nichts mehr in eine Ordnung zu drücken, die eh nicht gelingen kann. Lasse es wirbeln, auch im Kontakt. Wie weich die Hand von Mihri, das erfuhr ich heute, als sei es weniger um das Wechselgeld gegangen, das sie zurückgab, so hatten sich Finger in der inneren Hand des andern gedreht, beinah innegehalten, was bild’ ich mir wieder ein? Oder es sind Nischen kleiner Zärtlichkeiten. Es lässt sich nicht entscheiden.

Auch Wörter werden von mir in dieser Weise behandelt. Kriterien sind: sie sollten wirklich etwas sagen und gut in den Körper eingehen.

„Temporäre Raumverengungen“. Wenn da gar kein innerer Raum ist, in einem Kontakt, springt der Blick. Da auch das „springen“ in eher keinem Raum landet, zerschellt er, der Blick. Ablehnung. Wie sie als dunkelster Blitz im Körper versank. Demgegenüber, so kann es erscheinen, immer variable Frühlingsaugen heute zueinander redender junger Frauen.

„Reliquien gescheiterter Liebesbeziehungen“. Museum of Broken Relationships.

Manchmal steht mein Blick. Nicht unähnlich einem Penis. Und schau mir einfach an, ob und in welcher Weise meinem Blick gefolgt wird. Manche folgen ihm. Mitunter unsicher hüpfende Kohärenzen.

 

Ereignisse, die zeitlebens nicht mehr verklingen.

„Das Nachklingen reichte aber nicht bis zum Nächsten. Alles hängt an der Verstärkung und Ausdehnung dieses Nachklingens. Der kritische Punkt ist erreicht, wenn das Nachklingen das Nächste im Augenblick seines Einsetzens wenigstens überlagert. Diese Überlagerung gehört dann zum Nächsten und klingt in dessen Nachklingen mit nach. Setzt dies sich fort, so kommt es zu einer Aufstaffelung von Überlagerungen.“ (Reinhard Düßel)

Wie sehen die energetischen Überlagerungen eines jeden aus?

Welche Konstellation kommt gerade, die ich mit diesem Menschen verbinde, entgegen?

 

Nichts geht weiter. Das war bereits ein unübliches Maximum. Beim Tanz, dieser Art Tanz, geht es darum, sich zu berühren. Voneinander berührt zu sein. Also darum, was explizit in der in dieser Weise normativ geformten Gesellschaft nicht vorkommt.

Die Lebenszelle, die ich bin, im Laufe des Nachmittags zu einer tiefen Kerbe wurde. Wegen der Beanspruchung.

 

Unsicher darüber, ob ich einen Gedanken schon geäußert hatte. Jedenfalls äußerte ich ihn dann. Die gedachte Bahn des Gedankens und dann das Feld, in dem er ausgesprochen wurde. Der Wirbel, der dieses Nicht-genau-Erinnern auslöste. Solche und andere Wirbel waren Handlungen vorausgesetzt gewesen, die sonst nie begangen worden wären.

 

11

 

Vater teilte mir am Mittag mit, dass er nun eine andere Stille brauche, eine Stille mit auch anderen Gedanken. Und es deutet auf die allerletzte Phase seines Lebens. 

 

Als ich den Marktplatz überschritt, nun frühlingsvoll, geriet ich genau an der Stelle, die ich als die bedrohlichste antizipierte, in einen – wie ist es zu sagen – absolut zwingenden Todeskrampf und -kampf. Nur in diesen Momenten ging in der Nähe maskiertes Gelächter los. Ich konnte mich im Innern aufrichten und landete in den Augen einer Frau, die ich ein wenig kannte und der ich zuletzt eher ausgewichen war. Dieser Blick war für einen Moment ganz. Als sei diese Situation als Voraussetzung dafür nötig gewesen.

 

Aufgezwungene Abirrung ist Voraussetzung für kontrastive Erinnerung, die sonst nicht gekommen wäre, sie kann wirken wie eine Epiphanie.

 

Plötzlich in einem Wagenspiegel in Augen sehen. Die Fahrerin vor mir, die Augen im Spiegel, halten den Blick. Es sind wache braune Augen, die sich offen und weit gemacht haben wie ein Tor. Ich fühle, dass meine Augen schlagartig auch von dieser Art geworden sind. Ich kann’s nicht lassen und sehe noch einmal hin und diese Augen sind wieder da. Sie erinnern mich – auch – an einen Hasen, der in maximaler Weise die Ohren spitzte. Es sind Augen, die sich gerne sehen und sich ganz ansehen können. Als der Wagen abbiegt, denke ich, so sehe ich noch einmal hin und diese Augen vielleicht ein letztes Mal auf Erden und sehe, dass sie bereits offenst auf mich gerichtet gewesen waren. Welche unbewusste Sehnsucht sprach da?

 

12

 

Der Abend mit Tanz bot ein Spektrum, mit dem ich nicht zurechtkomme und zugleich unverzichtbar erscheint bzw. ist. Die darauf folgende Nacht habe ich nicht geschlafen, gar nicht. „Zu sehr“ wurde Gegenläufiges ausgelöst. Ich existierte in dieser Nacht – ja wie? Die erlebte Harmonie und Dissonanz kamen auf wie mit x-fachem Verstärker. Es vollzogen sich solche Erschütterungen, ja Beben, in gegenläufigen Richtungen, sodass ich manchmal meinte, dazwischen zu zergehen.

 

Zum einen:

  

Ich breche mich innerhalb eines solchen Abends so oft an den Wunden – die Ströme, die sich mehr und mehr produzieren, machen zuweilen nicht appetitlich .. für einen andern. Dazu kommt der Identitäts-beschädigte Blick. Nicht wirklich gemeinsame Identität mit einem Menschen mitbegründen zu können.

Entsprechend verstört war ich am Morgen.

Gerate immer wieder in solche Entdifferenzierung. 

Etwa Tanz zu dritt – „Männerrunde“, wie jemand bemerkte, schon dies Wort – grausam – kein Rhythmus und Feingefühl, das spürbar geworden wäre. Beide Männer erinnerten mich überdies gleich an zwei desaströse Lebensphasen, an ebensolche Personen, links und rechts an der Hand.

Personen, die zu „phobischen Punkten“ wurden; wer in der Nähe stand, war mitbetroffen.

So verwunderte es nicht, dass ich bei ungerader Teilnehmerzahl bei einer Übung zu zweit allein stand. Ich war so bereit gewesen. Und stand nun unruhig am Rand. Und wusste nicht wohin mit mir. Dabei erlebte ich das nicht zum ersten Mal, hier. Und es erinnerte an die einstige Ausgrenzung.

 

Zum anderen:

 

Auf einmal kam ich etwas zur Ruhe, als sich im Kreis an die Hand genommen wurde und „die Hand in der Hand“ ganz langsam gehoben und ebenso langsam gesenkt wurde – zu einer harmonischen Musik und so harmonisch, dass es in ein Schweben überging.

Fühlte am Morgen noch die Ströme in meinen Händen.

 

Vertrauterer Kontakt setzte sich zuweilen durch. So gerieten entschleunigte Bewegungen mit B in ganzheitlich-erotische wie nicht zuvor. Wie zu einer Ekstase in ein drittes Element, in dem beide Personen aufgehoben schienen. Eros selbst schien zu tanzen. 

 

An anderer Stelle zart gestreichelt, sodass es in den Ausdehnungen danach jeder rationale Gedanke schwer hatte, aufzukommen. Trance.

 

Als ich diesen Menschen nur etwas später ansah, schlug mein Blick in diesem Moment unkontrollierbar um zu solcher Dunkelheit, als entfiele darin die Person.

 

Bei einem Augenkontakt hatte ich mich derart einzustellen, um nicht jede Kontrolle ins Ungute zu verlieren, dass ich ihn nicht wirklich spürte.

  

Plötzlich fühlte ich über eine gewisse räumliche Distanz, wie ein leiser, unablässiger, zuerst kaum merklicher Gefühlsstrom einer Person, die ich etwas kennen gelernt hatte, in mich einging. Wieder durchtrennte die Wunde diese Verbindung.

 

Die Wunde, dieses ungebändigte ‚Monstrum‘ –

 

Noch am Ende, Tanz des Kreises, m/ein Gesicht verging – zu was? –, bei so bedrohlich empfundener Nähe. Sich so zeigen –

  

Im Wagen sitzend, als ich nach der Veranstaltung anfuhr, in der Dunkelheit eine Frau, die mich erkannte und zu winken versuchte; als ich die Augen auf sie richtete, waren sie, wie ich bemerkte, aufgerissen vor Furcht, als schienen dazu aufgetrennte Nerven durch und sah, dass die Frau sich weiterwand, als habe sie eine Dornenhecke gestreift. Bei allem habe ich die ausgeprägtesten Vorstellungen davon, wie es sein könnte, und ein Feingefühl gerade für solche Situationen. 

  

Es ist nicht gut –, für mich nicht und für andere nicht, wenn da kein Kontinuum einer Grundharmonie des Wesens ist. Andererseits, ist man „auf der anderen Seite“, lassen sich Vorzüge erkennen, näher am Tod und somit in bestimmter Weise näher im Leben zu sein.

 

Doch hatte einzusehen: Keine Vor-Einstellung, kein Gedanke, keine besonderen Kräfte halfen; es kommt einzig darauf an, wie die Verfassung zu dem Zeitpunkt ist, wenn es intim wird und der Mensch von guten, anziehenden Kräften überwältigt werden kann. Und da waren meine Wünsche manchmal so groß wie mein Zustand schlecht. Aber was alles bleibt unberücksichtigt, wenn es so formuliert, bewertet wird.

  

Die Wunde findet also immer die Lücke, eine immer noch scheußlichere. So fiel mir am Morgen an einer Person, mit der ich am Vorabend ein paar Momente geradezu intim geworden war, etwas auf, mit dem mein Blick ‚in tausend Scherben ging‘. Jede männliche oder natürliche Härte einreißend, und ich weiß, dass das – erfahrungsgemäß ohne Wahl – bei der nächsten Begegnung mit dieser Person sofort erscheinen wird. So krank bin ich. So gesund bin ich, das alles festzustellen, und im Kontakt oft doch etwas anderes oder ganz anderes platzieren zu können. „Gesund“ / „krank“ – das sind Bewertungen und nicht unbedingt, es kommt sehr drauf an, maßgeblich für das Entscheidende, die zu erreichende Intimität.

 

*

  

zu 1 

 

[...] Du hast den genauen Nerv getroffen im Hinblick auf mein ‚Jammern‘ bez. Einsamkeit. Damit muss aber jetzt Schluss sein, ich habe sie endlich ganz zu tragen als Begleiterscheinung meiner spezifischen Existenzform (davon abgesehen, dass niemand um s/ein Quantum Einsamkeit umhinkommt).

 

Der genaue Nerv, den du trafst, ist der, ausgehend von deinen Worten:

 

„ich sehe einen geschlossenen kreis [dein Inneres], der von außen angestupst wird, der von außen Impulse aufnimmt und nach innen weitergibt“

 

so ist es leider oder nicht leider, ich nehme höchst punktuell wahr und tauche diese Eindrücke in meinen Kosmos und formuliere. Von daher ein echter Schriftsteller, der sich zu wundern scheint, zuweilen oder Grund-legend einsam zu sein ... *auflachen* Mir ist an deinem Analyseelement wirklich einiges bewusst geworden: ich bin ebenso offen wie geschlossen.