im „Zentrum die heile Frau“

(Ulrich Schödlbauer)

 

  

Es war schon spät. Ich hatte – nach all dem – gut begonnen, mich lange Zeit so gehalten, ich war tief und gefasst in mir und hatte mein Vorhaben einlösen können, mir noch hochbewusster und deutlicher die zwischenmenschlichen Räume anzusehen, die sich ergaben. Doch es war „zu viel“ Augenkontakt. Es hatte bereits begonnen, in mir zu verschwimmen, mein Blick noch wenig klar und, wie es ist, melden sich dann die bösen Geister potenziert. Fallen potenziert ein. Da stand sie mir im Raum gegenüber. Und es durchschauerte mich das Erbarmen. Eine Frau, nicht so sehr alt, aber die alte, die uralte Frau schaute bereits aus ihr hervor, zugleich hatte sie auch etwas Junges an sich. Ich dachte sofort, sie ist das Leiden. Sie ist eine organische Verkörperung eines Menschen, wie ich ihn aus dem Werk von Ernst Barlach kenne. Sie sah mich durchdringend, gänzlich ohne Forderung an. Ein sehr durchmischter, ambivalenter, aber auch schöner Quell aus ihren Augen. Was hatte jemand erlebt, der so ansah? Blickte ich auf mich selbst, war es nicht so sehr anders. Dieser Quell aus ihren Augen deutete darauf hin, dass sie mich, wie ich gerade war, erkannte. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter. Überaus bewusst, wie eine lebendige Statue. Als habe ich die Legitimation, ihr echten Segen zu geben. Sie erkannte die Geste. Und wandte sich, ohne jede Forderung in den Augen, wieder ab.