»Empfinde ich jetzt wirklich
die durchaus nützliche Angst?
Oder sind meine Befürchtungen unbegründet?
Begegne dem Moment:
mit Wildrosenblüten und Hibiskus.«
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(Hari Tea, auf der Verpackung eines Teebeutels)
Marcel sagte: »Es gibt so etwas wie eine Grundbewegung des Bohrens. Zu graben, aufzuspüren.
Das unglaublich Schwere für mich war: das sein zu lassen. Das Bohren auf allen Ebenen sein zu lassen.
Es wurde zu einer Hauptbeschäftigung, tags wie nachts war ein solcher Reiz da. Und es nahm mir Ruhe, schädigte mich.
Es war so schwer das sein zu lassen wie ständig von einer Horde Mücken angeflogen zu werden und nicht einzugreifen.
Auch innere Aufrüstungen gehörten dazu: sie bohrten in mich und andere, die mir begegneten, hinein.
Ruhe bedeutet: all das zu lassen.«
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»Ich lasse nun auch jede aktive Schmerzbearbeitung«, sagte Marcel, »suche meine Existenz – auch unter Menschen – in Bewusstsein und Stille zu lassen.
Und welche Rolle spielte bei all dem 'sexuelle Aggression' oder das häufige Bedürfnis nach Sexualität? War es – auch – der Übergriff auf ein Wohlsein in einer vertrackten inneren Situation?
Und, all das gehört zusammen: Jedes Wort zur Selbst-Beeinflussung, das ich unter Menschen zu mir sprach, geriet zum Panzer. So ging es etwa nicht um das Wort ›Stille‹, sondern um Stille.
Es ging darum, mich und andere ganz in Ruhe zu lassen und in Stille zu verweilen.«
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Marcel sagte: »Die eigene Psyche sucht zuweilen nichts als die Lücke. Das ist bekannt, und so ist es auch. Eine Lücke, jede mögliche Lücke, sich selbst zu denunzieren . . . Das macht die Psyche in sich selbst. Das macht sie gern mit größter Intensität und Gewalt. Das sollte man wissen. Und indem ich es weiß, gehe ich anders damit um. Ich lasse nun all das. Mal sehn, was herauskommt.«
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Marcel sagte: »Stolz auf seine grausame Erfahrung sein, weil . . . sie wurde zum Veränderungsdrehpunkt.
So weitgehend diese Erfahrung verlief, so weitgehend ging auch der Veränderungswille und die Entwicklung.
'Kleine' Menschen haben geringe Veränderungsdrehpunkte.«
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»Wie mit Emotionen fertig werden«, sagte Marcel.
»So sehr die Auslebung von Emotionen eigentlich gesund und richtig ist . . ., so sehr sehe ich natürlich das Problem der Unverträglichkeit . . .
In der Wohnung rumgeschrien. Völlig ausgerastet. Sich 'nicht mehr beruhigt'.
Durchgezogen, nicht mehr gestoppt.
Weitere Normen durchtrennt.
Ich ging dann ganz ruhig aus dem Haus. Ich hatte mit nichts mehr etwas zu tun. Wie gut war das.«
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»Hoch kam auch, was mir einst widerfuhr: Rücksichtslose Ausagierung von negativsten, personal gerichteten – verletzendsten – Emotionen.«
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»Ich war schon immer sehr mutig in dem Sinn, dass ich keiner Möglichkeit im Innern auswich.
Das kann zur Falle werden. Kann Raserei beschleunigen.«
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»Es trieb mich dann hinaus ins Zuviel . . . heißt: in zu dichte Emotionen, in zu viel Körpererregung, in rasende Gedanken.
Da hatte ich es, das Problem mit der Grenze.
Ich trieb zu sehr nach außen, war dabei zu sehr von andren Menschen abhängig.
Abhängig von ihrem Urteil, ihrem Verstehen, vom Einklang.
Das als Abhängigkeit sozusagen – ist alles nichts . . .
Zur Wendung gehörte, einzusehen: Ich brauche niemanden mehr. Ich stehe für mich.
In meiner Raserei – grundiert von Erstarrung, von Sich-bedroht-Fühlen – hatte ich ja geradezu stetig auf andre Menschen und auf mich zugegriffen.
So hatte ich mich im Außen verloren, und auch im Innern – momentweise – verloren.«
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Marcel sagte: »Was mich bedrohte, war dann immer 'das Gleiche'.
Das immerwährende Ziel dieses Gleichen war, Nähe zu verhindern.
So oft erfolgreich . . ., so oft.
Meine Energie verzerrte vor dem, was mich bedrohte. Zunächst gegenüber dem Außen, dann weiter im Innern.
Die Verzerrung hatte eine Schutzfunktion.
Ich konnte diejenigen, von denen ich mich bedroht fühlte, nicht als Menschen mit ihren ggf. ausagierenden Emotionen und Urteilen wahrnehmen, das wäre zu bedrohlich gewesen, das hätte mich auf der Folie, was geschehen war, zu instabil gemacht.
So bewirkte die Verzerrung meiner Energie eine gewisse Stabilität oder vielmehr Pseudostabilität bzw. eingebildete oder besser: in sich realisierte Stabilität.
All das hatte mit dem Außen wohl wenig noch zu tun. Oder auch viel. Egal jetzt.
Ich betrachtete all das nur noch als Teile meines Inneren, denen ich ausgesetzt war. Und somit wurde alles bearbeitbar. Im Bewusstsein, dass ich keinen Menschen mehr brauche.«
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Marcel sagte: »Die Grenze, ja. Meine Grenzen waren so dünn, so durchlässig, so offen geworden für alle möglichen Gefährdungen. Scheinbar absurdeste Varianten.
In dieser Verfassung knallt man dann eher mit dem nächsten zusammen als ihm zu begegnen.
Wuchtig, wenn auch alle Bedürfnisse dabei ausgefahren sind.
Seitdem ich all das – sehr weitgehend – in Ruhe lasse, wird’s in mir ruhiger.
Seit einer Zeit schon brauche ich keine Raserei mehr.
Ich existiere nun tatsächlich wie in lückenloser Liebe. Stabil.
Weil alles, was in mir erscheint, diese Liebe erfährt.
Der Krieg ist zu Ende.
Es geht mir zunächst einmal nur noch darum, die jeweilig zerstörerische Lücke, die sich im Gedächtnis auftut, nicht verdrängend und sanft zu lieben. Es geht mir um dieses langsame Wachstum.
Ich hatte selbst bzw. aus der Not innere Blockaden errichtet, die Unmengen an Energie verspeisten ohne großen Mehrwert. Was für ein trauriges Leben!
Es geht nun: Bejahung von Verzerrungen und Urteilen. Mich kann nichts mehr treffen im Sinne von verstören, abhalten, verhindern, wenn es wirkliche Bejahung ist.
Ein Kampf gegen Verzerrung und Urteile lässt sich eh nicht gewinnen.«