Kreta 12.10.2019

Morgens als Erster im Frühstücksbereich. Sich mit soeben aufgegossenem Kaffee und Sachen vom Buffet ans Meer setzen. Gestern Abend Einbruch mit der Frage, bin ich ein »Glückskind«? Ein allzu infantiles Wort, das bei dem, was Tod und Leben bereithalten, von selbst auszuscheiden scheint? Und doch! Hinauf gejubelt zur Exponiertheit, begleitet von echter Fürsorge und Liebe, ergab sich, bei einigen Talenten, aber ohne erweiterte Mittel der Verwirklichung, etwas dieser Art als Selbstgefühl. So kamst du ins Leben. Was dann alles geschah, was das Glückskind austrieb, oder kaum mehr wahrnehmbar in den Hintergrund drängte. Einschneidungen, nicht ganz früh und doch relativ früh, die ausreichten, um ein Leben mit Bedrückung zu durchwirken. Ergab unter anderem: verunsicherte, übervorsichtige, ausbleibende Freundlichkeit und: eine »die« Wirklichkeit nicht wirklich anerkennende Art. Weil immer im inneren Raum stand: mit diesen Einschneidungen bin ich allein.

Nicht wirklich freundlich zu sein, das fällt dir nun »alle Momente« im Vergleich auf an der Freundin, die oft wirklich freundlich ist. Sich umfassender eingibt oder eingeben kann und das Ergebnis eher anerkennt. Möglicherweise erscheint es aber auch nur so.

Das ganze Gemisch reichte aber aus, um gegenwärtig zu einem Grad der Ernüchterung zu gelangen, bei dem »man nichts mehr will«, du nichts mehr willst. Mit dem, und was alles stieg wieder herauf, nichts mehr wirklich gut ist an sich selbst. Bei dem sich Anflüge von Einverständnis melden mit der eigenen Auslöschung. Normaler Prozess, ließe sich meinen, der Geburt im Leben einleitet?

Das Glückskind; wie oft es bitter und untergegangen dastand. Und zuweilen auf jemand und etwas zu sehen hatte, was als viel größeres »Glückskind« erschien. Akut: im Modus der Bevorzugung.

 

 

 

 

Kloster Arkádi. Zu zweit, aber ausdrücklich schweigend darauf zugehen. Augenblicklich in einer Stille gewesen, die sehr ausgeprägt nichts anderes wahrnahm als sich selbst. Kategorien wie Offenheit oder Geschlossenheit schienen dabei nicht relevant. Nichts Abträgliches schien in diesem Raum zu sein. Es waren Momente, in denen überdies die eigene Biografie davon geradezu überformt wurde. Es wurde als etwas ungeheuer Wohltuendes wahrgenommen. Ob es dauerhaft so empfunden würde, wäre jedoch sehr fraglich. Gegenstände gelegentlicher Außen-Wahrnehmung waren: eine Frucht am Baum; ein Ausblick. Gewärmt von manchmal aufscheinender Sonne.

 

 

Es spielt eine große Rolle, wie man in ein Kloster (beziehungsweise überall) eintritt. Nichts ist bekanntlich wiederholbar; so ist auf Reihenfolge bei den Zuwendungen zu achten. Wie als Kind schon, nur ganz anders, tiefe Gewissheit darüber, einen bestimmten »Auftrag« zu haben. Schwer bis unmöglich zu sagen, woher das genau kommt. Wichtig war und ist, ihn «einfach« zu ergreifen. Auch, diesen Auftrag zu benennen und näher zu bestimmen, fiele nicht gerade leicht, sofern es überhaupt möglich wäre. Und: So, wie du augenblicklich in diese wundervolle Stille eintreten konntest, ist die Zeit – nicht unähnlich einem Gongschlag – plötzlich um.

 

 

 

 

Thronos. Ausgestiegen in diesem Bergdorf, kein Mensch war da in Nähe der Durchgangsstraße, so standst du mit der Freundin zusammen in dieser wunderbaren Wärme und ringsum nichts als Weite mit Hügeln und Bergen und wohlduftenden Kräutern in der Luft. Wie schon auf dem Weg dorthin, draußen in einem Gasthaus sitzend, etwas von dem Griechenland wiederentdeckt und gefühlt, wie du es gekannt hattest. Es begann damit, dass mit einem Mal keine touristische Überformung mehr spürbar gewesen war, der Schafskäse in dem Gasthaus wieder nach Schaf schmeckte, ein schmeckbar gutes Öl für den Salat verwendet wurde und Brot, das über geschmacksarmes Weißbrot hinausging. So, dass das Essen zu einem einfachen, großen Genuss wurde. Dazu 40 % preiswerter. Und begleitet von einer Frau, die nicht bloß »Bedienung« war, was vom ersten Moment an auffiel: ihr Gesicht war reich an friedfertigen Übergängen. Sie empfing Menschen als Gäste, und die Natürlichkeit ihrer Schamgefühle und ihrer Vorsicht waren berührend. Es machte dich verlegen so, dass du etwas erstarrtest. Beim Gehen sahst du noch einmal in den langen Korridor des Gebäudes und da stand sie, weit hinten, und winkte augenblicklich ekstatisch oder einfach lebendig zu dir herüber. – In Thronos, dem Bergdorf, warst du dann wie befreit, vielmehr: es entstand tief innen eine zarte Wärme, die mit so vielem zu tun hat, eben unter anderem mit all dem Erwähnten, und Griechenland für dich bedeutete.