Nach jenem Geschehen, wie schnell wuchs da der Tod?
Wie alt war ich, von einem Tag auf den andern?
Als wir noch die Pulle reichten. – Irgendwo bei Barcelona, im Sand sitzend. Einen größeren Schluck Sangria aufnahmen als verträglich. Alles drehte sich im Kopf, als wir – endlich funktionslos – aufs Meer sahen.
Verschiedene Arten von Todesangst. Als die Wellen im Skagerak plötzlich höher wurden als das Schiff. Als das Schiff zur Seite brach und mit einem Schlag alles von der langen Tafel im Schiffsinnenraum gerissen wurde. Als sofort das Deck gesperrt wurde, über das die Wellen gegangen waren.
Was mich heute beschäftigt, ob ich der einzige Stern bin in meinem Himmel, Horizont. Ich meine, auch wenn ich dich wahrnehme, versuche zu ermessen, es geschieht im vielfältigen Stern m/einer Wahrnehmung. So, bei jedem. Plötzlich war es der Gedanke, ich kann dich niemals aufnehmen. Weil alles, was du fühlst und bist, nur dir zu eigen.
Erregend und beunruhigend waren immer erste Hotelnächte.
Als ich einzusehen hatte, dass meine Orientierung nicht gut ist. Dabei fand ich wo überall – und wie rasch – zurück und hin? Aber seitdem das geschehen war, hatte ich „keinen Blick mehr“ für äußere Dinge.
All diese eigentlich philosophischen Fragen, wahrnehmungspsychologischen Fragen, stellten sich als Kind nicht und hätten sich nicht gestellt: Wir waren zu viert und fühlten uns gut und es gab kein Grundproblem – lange Zeit –, das es nötig gehabt hätte, zu Bewusstsein zu kommen.
Lange Nachmittage
Wie selbstverständlich Mütter mit Kindern, Gruppen usw. Raum einnehmen und besetzen von jemand, der in einer – durchaus fühlbaren – geistigen Atmosphäre liest. Entweder sie spüren diesbezüglich nichts oder sind absolut verächtlich. Bzw. setzen ohne jede Triebreibung, so wie es mir aufgrund von Anstand nicht möglich, ihr Leben durch. Und behandeln schweigende Gedanken und Gefühle wie „letzten Dreck“.
Wie mein Herz schlug, als ich mich früh verirrt hatte, allein im Wald. Es war bereits dabei gewesen, ins Dunkel überzugehen.
Wie wir im August auf der Terrasse saßen, lange Nachmittage, bis es dunkel wurde. Wichtig war, etwas Gutes zu trinken zu bekommen, so wurde viel Durst erzeugt. Konnte man nicht mehr trinken, wurde ein warmes Essen hereingebracht. Aber wir sprachen nicht so, dass es mir zur Orientierung geholfen hätte. Was ich zu sagen hatte, wirkte von Beginn an ‚exotisch‘. Denn ich trieb mich von vornherein an anderen Orten herum. Doch es gab so etwas wie kollektive Richtigkeit, in Gedanken und Gefühlen. Und was davon wirklich gut und bewegend, konnte ich sehr gut einschätzen. So staunte man, dass etwas ihnen Unbekanntes in einer gedanklichen und Gefühls-Richtigkeit dargeboten wurde, die ihre mitunter überbot.
ÜBERGANG
Ich erinnere, wie leise etwas in mir als Jugendlichem aufsetzte. Dasjenige traf in einer solchen Ruhe ein, dass ich es – in Ruhe – drehen und wenden und schweigen konnte. Dabei spürte ich meine Intelligenz und ein Gefühl, bei dem ich dachte, es kann kein schöneres geben. – Man übertrug mir komplexe Aufgaben und sagte, dass man sich auf mich verlassen könne.
Ich entdeckte eine Kneipe mit einem Billard und überlegte, wie ich der beste Billardspieler werden könnte. Ich ließ mir die verschiedenen Queues zeigen und spielte erst mal allein.
Das alles kommt mir zunehmend gespenstisch vor, weil tote Tage gespenstisch sind.
Ich hatte ein besonderes Verhältnis zu einem alten Mann in einem winzigen Briefmarkenladen in der Stadt, so bildete ich es mir ein. Jedenfalls zeigte er mir seltene Marken in seinem Laden, und mit einer Lupe, die sehr dickes Glas hatte, sahen wir auf Einzelheiten, die er mir erklärte.
Ich hebe den Kopf und das Freibad ist noch immer voll. Es ist beseelt. Weil ich mir vorstelle, jeder Einzelne ist so komplex, wie ich das zu erschließen suche.
Auf einmal erblicke ich auch wieder seelenvolle Zusammenhänge unter den Kindern. Und löse mich aus der Hülle eines intellektuellen Zombies.
Sanft
Ich hatte im Innern keine Härte, die irgendetwas auffing bzw. einebnete.
Ich erinnere sanfte Berührungen an Schulter und Armen eines Mädchens, einer jungen Frau, so, dass ich tatsächlich dachte, es sei der Himmel.
Vorwärts stürmen im Gedränge, ich hielt Schritt, fühlte mich aber so fremd, ich wusste, das ist nicht mal eine Rolle.
Ich sah im Süden Europas, wie einem jungen Kerl, der aufgebracht war über jedes Maß, von einem älteren Mann in aller Seelenruhe die Brille abgesetzt wurde; er legte sie sorgsam auf einen Tisch und die Aufgebrachtheit des Jungen wich einer Ohnmacht und einem Respekt.
Während ich das schreibe, geht ein kleines Mädchen an mir vorbei, macht mir ganz glückliche Augen – kam ganz nah und sah mir in die Augen –, setzt sich hin und isst Pommes. – Friedlich und recht still sitzen nun drei Kinder hinter mir an einem Tisch aus Plastik, an dem sie etwas verloren wirken.
Warum ich jetzt eine Gewitterstimmung im hohen Gras erinnere, in dem wir standen, einen ganzen Tag lang hatten wir gespielt. Wir schafften es nicht mehr nach Haus, ohne in ein Un-Wetter zu kommen. Ich hatte in dem Gras gestanden und etwas wie eine Uhr ticken gehört, obwohl ich nie eine trug, in solcher Stille.
Glaube
Mit jener Wunde vertiefte sich etwas – physisch zu verstehen –, das mich ganz allein, unverbunden da stehen ließ.
Manchmal waberte es wie über glühendes Eisen, das, solange Menschen anwesend waren, nicht erkaltete.
Auch ich wollte mich verbinden.
Und mich ins Besondere hinein zu interpretieren, wie es geschah, diente denjenigen nur dazu, sich „nicht befassen zu müssen“.
Überhaupt kommt mir Lüge über Lüge zu Bewusstsein.
Ich fühle die Sonne in den Blüten, die sich über dem Wasser leicht drehen. Vom Nachmittagswind, vom Schwung einer Drehung, von loser Befestigung.
Ich ging gern mit Menschen um, die nicht befestigt waren.
Eine Nachbarin, an der ich einmal hing; als sie ausgezogen war, war es nebenan für immer still.
Die Fischbude, an der wir bei Küstenankunft etwas aßen, vielleicht war es schon der beste Moment des Urlaubs gewesen: erste Blicke aufs Meer und Freude an Vorstellungen, an die geglaubt wurden.